Duisburger Mädchen bieten Stadtteilführungen durch ihre „No Go Area“ an
Tabea Thomsen, Natalie Bienert & Rainer Mehren
„Duisburg-Marxloh ist Deutschlands bekanntestes Problemviertel“ (FAZ)
„Es gibt immer Randale und Ärger – Problemviertel Marxloh verwahrlost zunehmend“ (n-tv)
„Die Ratten kommen abends in ganzen Armeen“ (Die Welt)
Der Hintergrund
Diese Schlagzeilen stehen stellvertretend für viele weitere. Marxloh wird im öffentlichen Diskurs fast durchgängig und monothematisch als armutsbetroffenes, ethnisch verdichtetes Viertel thematisiert, welches mit einer Vielzahl von Schwierigkeiten kämpft und mit Bezeichnungen wie „No-Go-Area“, „Brennpunkt“ oder „Symbol gescheiterter Integration“ stigmatisiert wird (Peres da Silva & Lauer 2018). Solche Zuschreibungen rühren u. a. daher, dass über die Lebenssituationen der ansässigen Menschen jenseits von Statistiken nur wenig bekannt ist (Cöster 2015).
Derartige Fremdzuschreibungen wirken sich auf die Anwohner:innen aus. Die stereotypische Brandmarkung manifestiert sich gleichermaßen im Alltag wie auch bei biographischen Weichenstellungen wie z. B. der Bewerbung auf einen Ausbildungsplatz, wenn die Personen zu erkennen geben, dass sie aus Marxloh stammen (Beicht & Granato 2010).
Fremdstigmatisierung führt nicht selten zur Selbststigmatisierung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte (Ludwig-Mayerhofer & Kühn 2010). Eine damit einhergehende Internalisierung der kollektiven Raumkonstruktion als abgehängtes Viertel verstärkt bei Mädchen und Frauen deren ohnehin geringere Selbstwirksamkeitserwartungen (Stubbe et al. 2021). Da diese als zentraler Faktor für die Berufswahl gelten, kann dies die Bildungsverläufe negativ beeinflussen. An dieser intersektionalen Schnittstelle zwischen armutsbetroffenem Viertel, Migration und Gender setzt das Projekt „inside Marxloh“ an.
Das Projekt
Im Rahmen des gemeinsamen Projekts der örtlichen Herbert-Grillo-Gesamtschule, der Sozialeinrichtung Duisburger Werkkiste und der Geographiedidaktik der Universität Münster haben Mädchen mit Zuwanderungsgeschichte der neunten Klassen in einer AG eine alternative Stadtteilführung entwickelt. Diese unterscheidet sich von klassischen Angeboten, da die Mädchen aus Marxloh als Tourguides authentische Einblicke geben. Neben touristischen Highlights wie der deutschlandweit einzigartigen Brautmodenmeile oder der spektakulären Merkez Moschee zeigen die Schülerinnen auch die für sie bedeutungsvollen Orte, ihre Alltagskulturen und Erfolgsgeschichten migrantischer Frauen, wie z. B. Elifs Tortenwelt, die sie zuvor selber recherchiert haben.

Abb. 1: Internetauftritt der Stadtteilführungen (www.insidemarxloh.de)
Das Ziel des Projekts ist einerseits die Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung der Mädchen und andererseits die positive Beeinflussung des öffentlichen Diskurses über Marxloh, die dem vorherrschenden negativ-stereotypischen Bild eine positivere Narration entgegensetzen soll.

Haben Sie Interesse an der Stadtteilführung?
- Instagram: Sie können den Mädchen auf Instagram folgen und ihre Arbeit durch das Abonnieren des Kanals sowie durch Teilen, Kommentieren und Liken der Beiträge wertschätzen und unterstützen (s. Abb. 3).
- Podcast: Die Journalistin Margarete Zander hat in ihrem Podcast „Hömma Marxloh!“ eine wunderbare Folge über das Projekt erstellt. Er dauert ca. 22 Minuten und zeigt (insbesondere im letzten Drittel, wenn die Mädchen selbst ausführlich zu Wort kommen), wie Schule sein könnte und sollte (s. Abb. 3).
- Stadtteilführungen: Sie können die Stadtteilführung auch für sich oder ihre Lerngruppe über die Internetseite buchen und sich Marxloh vor Ort persönlich anschauen. Die Mädchen bieten einerseits feste Termine an, offerieren aber auch für Gruppe eigene Führungen (s. Abb. 1 & 3).
Dieses Projekt „inside Marxloh“ wird von der EU zusammen mit dem BMBF über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert und ist Teil des Programms „Integration durch Bildung“.
Text: Tabea Thomsen, Natalie Bienert & Rainer Mehren (2025)
Abbildungen: www.insidemarxloh.de (2025)
Literatur
Beicht, U. & Granato, M. (2010). Ausbildungsplatzsuche: Geringere Chancen für junge Frauen und Männer mit Migrationshintergrund. BIBB-Analyse zum Einfluss der sozialen Herkunft beim Übergang in die Ausbildung unter Berücksichtigung von Geschlecht und Migrationsstatus. Bielefeld: Bertelsmann.
Cöster, A. C. (2015). Frauen in Duisburg-Marxloh: Eine ethnographische Studie über die Bewohnerinnen eines deutschen »Problemviertels«. Bielefeld: transcript Verlag.
Ludwig-Mayerhofer, W. & Kühn, S. (2010). Bildungsarmut, Exklusion und die Rolle von sozialer Verarmung und Social Illiteracy. In: Quenzel, G. & Hurrelmann, K. (Hg). Bildungsverlierer: Neue Ungleichheiten. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 137-155.
Stubbe, U., Brinkmann, U. & Prechtl, M. (2021). Quantitative Befunde des berufsorientierenden Projekts DiSenSu. Tagungsband zur virtuellen GDCP-Jahrestagung 2020, S. 298-301.




