Südlink-Interview mit der Museumsdirektorin Nanette Snoep über Erfolge und Schwierigkeiten bei der Dekolonisierung ethnologischer Sammlungen
Das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln zählt zu den bedeutendsten ethnologischen Museen Deutschlands. Ein wesentlicher Aspekt seiner Arbeit betrifft die Auseinandersetzung mit der Herkunft der Sammlungsobjekte. Dabei stellt sich zunehmend die Frage nach dem Anteil von Kulturgütern, die als Raubgut gelten oder deren Provenienz zumindest umstritten ist. Diese Diskussion berührt zentrale Themen wie Dekolonialisierung und Postkolonialismus, die nicht selten emotionale Reaktionen hervorrufen. Begriffe dieser Art führen häufig zu starken Kontroversen, da sie tief verwurzelte Ressentiments und Vorurteile zutage fördern. Dadurch geraten zwei wichtige theoretische Ansätze zur Analyse globaler Machtverhältnisse oftmals in die Kritik oder werden gezielt diskreditiert. Die Direktorin, Nanette Snoep, spricht in einem Interview mit Inkota/Südlink über die Frage, was es konkret bedeutet , ein Museum zu dekolonisieren.
Als ich 2015 Museumsdirektorin in Sachsen wurde, fand ich eine Anfrage aus Hawaii zur Rückgabe menschlicher Gebeine. 24 Jahre lang wurde diese Rückgabe jedes Jahr gefordert, und jedes Mal wurden die Briefe ignoriert oder abgelehnt. Ich war schockiert, wie lange diese Menschen aus Hawaii warten mussten. Es ging um ihre Vorfahren, die in Plastiktüten im Dresdner Depot lagerten. Mir war damals wichtig, nicht nur die Rückgabe zu ermöglichen, sondern den anonymisierten Überresten ihre Würde zurückzugeben, einen sogenannten „Rehumanisierungs-Prozess“ zu initiieren.
Ein wichtiger Bestandteil des Dekolonisierungsprozesses der Museen, erläutert Nanette Snoep, ist die Ausstellung „Resist! Die Kunst des Widerstands“, die 2021 in Köln gezeigt wurde. Diese kollektive, vielstimmige Schau widmete sich 500 Jahren antikolonialer Kämpfe im Globalen Süden. Fast 25 Aktivistinnen und Künstlerinnen aus dem Globalen Süden sowie aus der Diaspora waren daran beteiligt. Entstanden war das Projekt während der Corona-Pandemie, im Kontext der Black-Lives-Matter-Bewegung und der weltweiten Diskussionen über den Sturz kolonialer Denkmäler.


Ziel war es, diese gesellschaftlichen Dynamiken in die Ausstellung einfließen zu lassen und damit einen Raum für die Auseinandersetzung zu schaffen. Gleichzeitig wurde die eigene Sammlung im Lichte kolonialer Gewalt und des Widerstands neu betrachtet. Indem die Geschichte des antikolonialen Widerstands anhand der Objekte erzählt wurde, gab man ihnen ihre Stimme innerhalb einer unterdrückten historischen Erzählung zurück. Auch die Benin-Hofkunstwerke, die 1897 im Zuge eines britischen Massakers geplündert wurden, sind Ausdruck von Widerstand. Das Königreich Benin widersetzte sich dem Machtstreben der Briten – eine Perspektive, die für ein vollständiges Verständnis dieser Kunstwerke unverzichtbar ist.
Es existieren vielfältige Ansätze zur Dekolonisierung – manche sind umfassend und sichtbar, andere eher fein und leise. Doch sie alle sind notwendig und ergänzen einander. Sowohl das Interview als auch die weiterführenden Publikationen, online und als Druckwerke, bieten für die unterrichtliche Arbeit zu dem wichtigen Themenfeld vielfältige Anbindungsmöglichkeiten und werden hier nachdrücklich empfohlen.

Text: Stefan Applis (2025) unter engem Bezug auf Inkota (2025)
Bild: Inkota (2025) & Rautenstrauch-Joest-Museum Köln (2025) & OpenAi (2025)