Einordnungen und Grundpositionen zu einer Bilddidaktik im Philosophie- und Ethikunterricht von Stefan Maeger, Volker Pfeifer und Bernd Rolf
Das Online-Magazin Information-Philosophie bietet in dem Beitrag „Bilder im Philosophieunterricht“ einen kompakten Überblick zu zentralen Facetten einer Bilddidaktik für den Philosophie- und Ethikunterricht. Zu Wort kommen die Didaktiker und Schulpraktiker Stefan Maeger (Philosophielehrer in Düsseldorf, Didaktik der praktischen Philosophie an der Universität Köln und Philosphiediaktik an der Universität Düsseldorf), Volker Pfeifer (Philosophielehrer in Staufen und Philosophiedidaktiker an der Universität Freiburg) und Bernd Rolf (Fachleiter für Philosophie und Praktische Philosophie an den Studienseminaren Kleve/Krefeld und Vorsitzender des Fachverbandes Philosophie e.V.). Der Beitrag adressiert zunächst den Unterricht der gymnasialen Oberstufe, enthält aber weitreichende Implikationen für jüngere Jahrgangsstufen und andere Schularten.
Bilder waren wohl noch nie so mächtig wie heute. Sie werden immer mehr als eine eigene Wahrnehmungs-, Wissens- und Erkenntnisform verstanden. Analog zum linguistic turn der analytischen Philosophie, wird heute von einem pictorial turn gesprochen. Ganze Bilderwelten sind zu wichtigen, eigenständigen Bestandteilen unserer medial vernetzten Lebenswelt geworden. Um zu verhindern, dass wir angesichts einer solchen multimedialen Überflutung zu hilflosen Bildanalphabeten werden, bedarf es einer genuin philosophischen Reflexion.
Volker Pfeiffer
Volker Pfeiffer | Die ethisch-normative Dimension von Bildern
Bei Volker Pfeifer tritt in allen Überlegungen eine ethische Dimension in der Arbeit mit Bildern hervor. Hierbei geht es ihm zum einen um die Arbeit mit mentalen Bildern in den Köpfen von Schüler*innen zu philosophisch-ethischen Konzepten wie Freiheit, Verantwortung etc. Die Arbeit mit inneren Bildern versteht er als Arbeit am logos; Bilder ersetzen hierbei die Arbeit mit Texten und Begriffen, um das Denken zu erleichtern, Brücken zur schwierigen Textarbeit zu schlagen. Andererseits sind diese inneren Bilder oftmals bereits – vor allem in überwiegend über Bildersprachen funktionierenden digitalen sozialen Räumen – vorab gelieferte, vor-konstruierte Bilder. Diese bedürfen einer De-Konstruktionsarbeit, die die normativen Gehalte der von ihm als „Viseotype“ oder „Schlagbilder“ bezeichneten Schlüsselbilder entdeckt und reflektiert, um „auf ideologiekritischem Wege verdeckt transportierte Normierungen und Wertsetzungen“ im Ethikunterricht aufzudecken. In diesem Zusammenhang sei immer auch zu fragen, was ein gewisses Bild bei jedem persönlich bewirkt und auf welche Weise diese Wirkung hervorgebracht wird, um so die normative Dimension der Bildersprache zu dekonstruieren. Immer stehe also „die problemorientierte, konsistente wie kohärente Arbeit am Logos […] [als] Mitte und Stärke des Philosophieunterrichts“ im Zentrum. Volker Pfeiffer nimmt bei der Begründung des Bildeinsatzes eine klassische, dichotome mentalistische Position ein; der Einsatz von Bildern sieht er „im Sinne einer pädagogischen Ganzheitlichkeit [als ein] zu begrüßendes Gegengewicht zur rational-kognitiven Schiene, indem affektiv-emotionale Aspekte wahrgenommen und reflektiert werden.“ Ein Zuviel an Bildern im Philosophie- und Ethikunterricht wäre allerdings dann angezeigt, wenn diese überwiegend eine ornamentale Funktion hätten und ein gewisses Maß an Reflexionsniveau unterschritten werden würde.
Bernd Rolf | Philosophieren mit Bildern als Motivation und Brücke zur akademischen Textarbeit
Bernd Rolf nimmt in seinem Teil des Beitrags eine stärker unterrichtspragmatische Position zum Bildeinsatz als Volker Pfeiffer ein. Er versteht Philosophieunterricht nicht in erster Linie als Arbeit an philosophischen Texten. Auf Grund des hohen Schwierigkeitsgrades philosophischer Texte seien Lehrkräft oft versucht, eine vorwiegend transmissive oder instruierende Haltung einzunehmen in Bezug auf den Lerngegenstand, z.B. die zu behandelnde philosophischen Theorie. Bernd Rolf betont hingegen die Notwendigkeit selbstentdeckendes Lernens im Philosophie- und Ethikunterricht anzubahnen, da dieser „nur dann nachhaltig sei […], wenn […] Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit erhalten, Fragen und Probleme selbst zu entdecken“; dies sei über den Einsatz von geeigneten Bildern möglich. Diese können „Fragen erzeugen, Problemstellungen eröffnen, Problembewusstsein erzeugen usw. Nicht zuletzt sind Visualisierung und bildliche Darstellung aus lernpsychologischer Sicht ein effizientes Mittel, Gelerntes nachhaltig zu sichern.“ So stünden Bilder oft am Anfang einer Stunde, während im weiteren Verlauf philosophische Begriffe, Argumente etc. zu dem durch das Bild erschlossenen Problemfeld bearbeitet werden können.
Im Übrigen halte ich die Auffassung, Philosophie habe es ausschließlich mit Texten zu tun, für einseitig. Im Hinblick auf Unterricht scheint mir ein dialogisches Verständnis der Philosophie am fruchtbarsten zu sein, das Texten dann einen Platz einräumt, wenn sie Antworten geben können auf Fragen der Schülerinnen und Schüler.
Bernd Rolf
Gleichwohl sieht Bernd Rolf den pictural turn als Herausforderung an, da das „Vorrücken des Bildes […] die Gefahr der Verkümmerung der Sprache und damit des diskursiven und reflexiven Denkens [berge]. Daher erhält der Unterricht – gerade auch der Philosophieunterricht – vor allem eine kompensatorische Funktion, er muss das sprachlich-diskursive Element stärken. Andererseits lässt sich gerade dabei das didaktische Potential von Bildern nutzen. Bilder sind in der Regel semantisch offen; sie laden geradezu dazu ein, das in ihnen Dargestellte sprachlichdiskursiv zu bestimmen„. Auch er merkt, ebenso wie Volker Pfeiffer an, dass das Arbeiten mit Bildern nicht das genuin Philosophische des Philosophie- und Ethikunterrichts verdecken dürfe.
Stefan Maeger | Richtungsänderung des Philosophie-Unterrichts hin zum Medium Bild
Auch Stefan Maeger meint, dass Bilder als Unterrichtsmedium nur da stark werden, wo sie im Wechsel mit Gespräch und Text auftreten. Allerdings vertritt er eine akademisch reflektiertere Position zum Bildeinsatz als Volker Pfeiffer und Bernd Rolf, untermauert seine bilddidaktischen Überlegungen mit allgemeindidaktischer und fachdidaktischer Theorie, sowie fachphilosophischen Überlegungen zu Bildern, um so eine eigene Bilddidaktik für den Philosophieunterricht zu entwerfen (s. u.). Zunächst einmal sei festzuhalten, dass Schüler*innen bereits bildkompetent in den Unterricht kämen, da sie vielfach geprägt vom Umgang mit Bildern in ihrem Alltag bis tief in ihre Identität hinein seien: „Bei der Arbeit mit Bildern im Philosophie- und Ethik-Unterricht betreten wir also einen Bereich teils schon vielfach bewährten Anwendungswissens und subjektiver, kaum bewusster oder kommunizierter Theoriebildung.“ Allerdings umfasse diese Bilkompetenz selten höhere Ebenen des Bildverstehens, um die es im Philosophieunterricht gehen müsse und die wohl erst in der Oberstufe oder höheren Mittelstufe erreicht werden könne. Entsprechend sollten Bildern immer „gezielt gesetzt und mit einem eigenständigen Lernvorgang verbunden sein (etwa durch bildbezogene Aufgabenstellungen). Bloß illustrative Bilder oder solche, die lediglich den Alltag bestätigend reduplizieren und so eine schnelle Vertrautheit suggerieren (z. B. Bilder von Schülern im Gespräch), sollten die Ausnahme bleiben.“ Eine Möglichkeit sei die Arbeit mit bildinterpretierenden Texten zu prominenten Bildern (Gemälde, Fotografien), um so die metaphorischen Qualitäten von Bildern (auch in eigenen Texten) zu erforschen. Weiterhin kann die Arbeit im Ethikunterricht mit Bildern als Gegensatz zu klassischen Positionen zum Urteils-Handlungszusammenhang wie sie auch in den Stufenmodellkonzeptionen der Piaget-Kohlberg-Tradition vertreten sind, gesehen werden. Im Anschluss an Charles Taylor und Michael Walzer scheint Stefan Maeger hier auf in Sphären voneinander getrennte Weltbilder zu referenzieren, die als Vorbilder normativ wirken und in ihrer Wirkungskraft den in situ getroffenen Urteilen vorausgehen; durch die Reflexion solcher Weltbilder und ihrer Bestandteile können die eigenen normativen Positionen reflektiert und überprüft werden.
Eine Richtungsänderung des Philosophie-Unterrichts hin zum Medium Bild zielt […] auf den Aufbau von Kompetenzen, der durch eine zeitgemäße Diagnose veränderter Lebenswelt und Zukunft der Schüler eingefordert wird. Es geht um eine Reaktion des Unterrichts auf einen gewachsenen Bedarf. Damit verlässt der Philosophie-Unterricht nicht sein angestammtes Feld: Die kritische Auseinandersetzung mit Bildern gehört von Anbeginn an zum Herzbereich philosophischer Reflexion, eben weil sie ein unverzichtbares Medium des Selbst- und Weltverständnisses sind.
Stefan Maeger
Stefan Maeger betont vor allem die durch die Arbeit mit Bildern verbundenen Verlangsamung der Bildrezeption, „die einerseits der Beschleunigung der massenmedialen Bildwahrnehmung entgegenwirkt und andererseits Chancen der Wahrnehmungsdifferenzierung und entdeckenden Versprachlichung eröffnet; er fasst seine bilddidaktische Position in vier grundlegenden Forderungen zusammen, die allesamt im Bereich phänomenologischer, hermeneutischer und spekulativer Lernziele liegen:
- Bilder in ihrer Gefährlichkeit als Verführungs- und Manipulationsmittel müssen durchschaubar gemacht werden – das ist Aufgabe der Philosophie im Sinne der Aufklärung;
- Bilder als Ausdrucksmittel und Mittel des Selbstentwurfs müssen erfahrbar gemacht werden – das ist ihre Aufgabe im Sinne der Förderung von Selbsterkenntnis;
- Bilder als Mittel der Wahrnehmung des und der Kommunikation mit dem Anderen müssen verfügbar gemacht werden – das ist ihre Aufgabe im Sinne ihres Beitrags zur Verbesserung der Verständigungskultur;
- Bilder schließlich als Inszenierungen von Sichtbarkeit und Medien des Gewahrwerdens erfordern eine Einübung in das eigene Wahrnehmen und Erkennen kritisch befragendes, „spürendes“ Sehen.
Text: Stefan Applis (2023) unter engem Bezug auf Information Philosophie | Bilder im Unterricht
Bild: Bild von macrovector auf Freepik
Ergänzende Literaturhinweise:
Stefan Maeger (2013). Umgang mit Bildern. Bilddidaktik in der Philosophie. Ferdinand Schöningh-Verlag.
Carsten Roeger und Dominik Schöneberg (2019). Wer bin ich? Philosophieren mit und über Instagram. In: Ethik und Unterricht Nr. 1 / 2019. Mit digitalen Medien unterrichten
Florian Wobser & Eva Noethen (2023). Bilder und Klimaethik. In: Ethik und Unterricht Nr. 4 / 2022. Klimaethik