Kurzer Hintergrund zu Hans Jonas‘ Veranwortungsethik
Bereits 1979 erschien ein Buch, das Ziele der Fridays for Future-Bewegung vorwegnahm und bis heute hoch aktuell ist: „Das Prinzip Verantwortung“ des Philosophen Hans Jonas. Es ist in den frühen 1980er-Jahren ein Bestseller im deutschsprachigen Raum, dann ein Welterfolg.
Matthias Kußmann (2020): Hans Jonas und die Ethik der Verantwortung, SWR-Wissen
Hans Jonas „Das Prinzip Verantwortung“ erschien im Jahr 1979 vor dem Hintergrund der atomaren Bedrohung und fortschreitender technischer Entwicklung und Umweltzerstörung. Jonas kritisiert darin Entwicklungen in Wissenschaft, Technik und Industrie, die nur für einen vermeintlichen Fortschritt stehen, die sie nachhaltig die Biosphäre zerstören. Denn die Ressourcen der Erde werden – nicht nur nach Hans Jonas‘ Analyse – weiter so rücksichtslos ausgebeutet, dass die Zukunft der gesamten Menschheit auf dem Spiel steht. Mit der Forderung, dass man nicht nur für das Hier und Jetzt Verantwortung übernehmen müsse, sondern auch für die Zukunft, ist Hans Jonas Denken bestechend aktuell und deshalb auch vor dem Hintergrund der Fridays-for-Future-Bewegung von Bedeutung.

Jonas, der aus einem jüdischen Elternhaus stammte und in Freiburg und Marburg Philosophie studiert hatte, emigrierte 1933 nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst nach London, 1935 siedelt er Jahre später nach Palästina über. Ab 1940 diente er als Soldat in der britischen Armee, nach dem Zweiten Weltkrieg unterrichtet Jonas Philosophie in Kanada und wirkte ab 1955 als Professor für Philosophie in New York. Die deutsche Sprache hatte er wegen der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas durch das nationalsozialistische Deutschland lange abgelegt gehabt. Als schon alter Mann entschied er sich, weil er meinte, nicht mehr so viel Zeit zu haben, noch einmal ein Buch auf deutsch zu schreiben, das er für sein wichtigstes Werk hielt – „Das Prinzip Verantwortung“.
Ich möchte Ihnen daher als alter Mann, der oft erfahren hat, daß das Wort ohnmächtig ist, zurufen: Oh, glauben Sie nicht, glaubt nicht daran, daß Dinge unausweichlich sind, und laßt Euch nicht verführen vom Rate angeblich objektiver Notwendigkeit, der wir hilflos gegenüberstünden. Haltet daran fest, daß wie man denkt, was man denkt, was man sagt und wie man in der wechselseitigen Kommunikation Ideen verbreitet, einen Unterschied ausmacht im Gang der Dinge. Erfolg ist nicht garantiert; aber sicher ist, daß die Anstrengung unterlassen, die Bemühung aufgeben, ganz bestimmt das Unheil werden läßt, das wir voraussehen können und dessen Voraussehen es ja doch verhindern soll.
Hans Jonas anlässlich seiner Ehrenpromotion durch die Freie Universität Berlin 1992
Das Kernkonzept aus Jonas‘ Werk das „Das Prinzip Verantwortung“
Hans Jonas macht in der Einleitung zu seinem Werk bereits deutlich, dass er eine völlig neue Ethik entwickeln möchte, die dem Bedrohungsszenarium, welches sich in Folge der menschlichen Machtentfaltung auf der Erde entwickelt hat, gerecht wird: Erstmals in der Geschichte könne die Menschheit, nach Jonas‘ Analyse, sich selbst und die ganze Erde vernichten. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines völlig neuen Verantwortungsbegriffes.
Waren bisherige philosophischen Ethiken räumlich wie zeitlich begrenzt und auf das direkte Gegenüber oder die einem nahe Gesellschaft ausgerichtet, müsste eine zukünftige Ethik auf einem Prinzip aufbauen, das „Heuristik der Furcht“ übezeichnet. Darin soll der schlechten vor der guten Prognose“ der Vorzug gegeben werden. Diese Analyse mündet in einer Neuformulierung des kategorischen Imperativs:
„Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“
Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung
Die Philosophin Susanne Moser betont, dass in Jonas Ansatz eine „Nicht-Reziprozität“ des Verhältnisses zwischen Natur und Mensch und unter Menschen enthalten ist. Damit verweise er, „auf all diejenigen, die keine eigene Stimme haben, die sich nicht oder noch nicht artikulieren können und damit auch keine Vertragspartner sein können: Die zukünftigen Generationen und die Natur.“ (Moser 2017) Hans Jonas spricht der Natur einen Eigenwert zu und begründet so den Anspruch allen Seins auf würdige Existenz: „Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur ist für ihn kein Herrschaftsverhältnis sondern ein Verantwortungsverhältnis: Der Mensch ist aufgrund seiner Machtentfaltung verantwortlich für alles Verletzliche, wobei der Anspruch beim Schwachen liegt: Das Gefährdete und Verletztliche hat einen Anspruch gegenüber dem Mächtigen, es nimmt dieses in die Pflicht.“ (vgl. ausführlich Moser 2017)
Blackboard-Concept zu Hans Jonas‘ Verantwortungsethik
Bezieht man sich im gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht auf Konzepte aus der philosophischen Ethik, besteht die größte Herausforderung für alle Beteiligten in der analytischen Komplexität dieser Konzepte. Sowohl Schüler*innen als auch Lehrer*innen benötigen deshalb Zeit für die Auseinandersetzung mit zentralen Begriffen, Überlegungen und Argumenten. Deshalb ist es sinnvoll, das Gespräch durch das Erstellen von Überblickdarstellungen zu den verwendeten Konzepten zu begleiten.
Dies ist zunächst schlicht die klassische Tafelanschrift, die begleitend zum Unterrichtsfortgang entsteht, weshalb der hier von mir verwendete Begriff „Blackboard-Concept“ lautet. Dieser soll uns zunächst daran erinnern, dass das konzeptionelle Arbeiten einer fortschreitenden Sicherung bedarf. Diese Sicherung erfüllt die Funktion eines Lernankers – in der modernen Didaktik wird das strukturierte Setzen von Lernankern oder Scaffolds als „Scaffold-Management“ oder „Scaffolding“ bezeichnet. Die hier entwickelten grafischen Darstellungen gedanklicher Zusammenhänge (Begriffen, Überlegungen, Argumente) kann man als „Concept-Maps“ verstehen: Bei der Concept-Map ergibt sich die Struktur aus der Semantik ihrer Begriffe; sie regt darum zum analysierenden und reflektierenden Denken über den Gegenstand der Concept-Map an. Darin unterscheidet sie sich von der Mind-Map, die zunächst nur einen Sammlungsanspruch oder eine Brainstormingfunktion hat.
Die „Blackboard-Concepts“ können und sollen nicht nur einmal im Unterricht verwendet werden, sondern – als Folie einer PP-Präsentation, als Flipchart-Plakat, als Hefteintrag usw. – immer wieder herangezogen werden, um die darin visuell gefassten Konzepte zu reflektieren, zu kritisieren und anzuwenden auf konkrete Fälle und Kontexte.
Idealerweise entstehen so auf Seite der Schüler*innen eigene Concept-Maps, die Weiterentwicklungen und subjektive Vergegenwärtigungen der behandelten Gedanken darstellen.
Text: Stefan Applis (2020)
Fotos: Hans-Jonas-Zentrum Siegen (2020)
Arbeitsmaterial: Stefan Applis (2020)
Leseempfehlungen:
Hans Jonas (1979): Das Prinzip Veranwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Susanne Moser (2017). Das Prinzip Verantwortung bei Hans Jonas. Philosophie.ch. Swiss Portal for Philosophy.
Susanne Moser (2016) Verantwortung im Spannungsfeld zwischen Machtentfaltung und Verletzlichkeit: Die Umkehr des Verantwortungsverständnisses bei Hans Jonas. Labyrinth 18 (1), 58-78.
Website des Hans-Jonas-Zentrums in Siegen:

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