Der Philosoph Christian Seidel beschäftigt sich mit ethischen Fragen des Klimawandels. Ihm geht es dabei vor allem um Fragen der Gerechtigkeit: Ist es unfair, Energie zu verbrauchen und damit zu einer Erwärmung des Weltklimas beizutragen für etwas, das man auch lassen könnte, z. B. einen Flug in den Urlaub oder 24 Stunden am Tag online zu sein? 

Hierbei sind die drei folgenden grundlegenden Fragen von Bedeutung: 
1. Sind wir aus Gründen des Klimawandels gegenüber anderen zu etwas verpflichtet und wenn ja, wem gegenüber? (ethische Verpflichtungen gegenüber Personen) 
2. Falls wir zu etwas verpflichtet sind, wozu sind wir verpflichtet und wozu nicht? (ethische Verpflichtungen zu bestimmten Handlungen) 
3. Was sollen wir tun, um diesen Verpflichtungen nachzukommen? (mögliche Handlungen zur Erfüllung der ethischen Pflichten)

Zusammen mit Dominic Roser hat er das Buch „Ethik des Klimawandels“ verfasst. Dominic Roser antwortet gängige Fragen auf Einwände von Klimawandel-Skeptikern in einem eigenen Podcast.


Um zu erklären, weshalb Fragen des Klimawandels auch Fragen der Gerechtigkeit sind, haben sich Christian Seidel und Dominic Roser zwei Fälle ausgedacht:

Fall 1

Es ist Nacht. Du sitzt auf deinem Fahrrad und – um schneller nach Hause zu kommen – nimmst du eine Abkürzung und fährst querfeldein über den in der Nachbarschaft deines Hauses liegenden Acker eines Bauern. Dadurch wird ein klein er Teil seiner Ernte zerstört, weil du mit deinem Mountainbike eine Schneise durch das Getreide ziehst. Das macht sogar Spaß und du denkst dir: „So wenig Korn, wie dabei kaputt geht, macht wahrscheinlich nicht einmal ein Brot aus. Und Brot ist ja so billig!“

War es falsch, die Abkürzung zu nehmen?

Fall 2

Es ist Nacht und du bist mit deiner Familie zu Besuch bei Freunden. Diese wohnen zwar nicht weit entfernt, doch um schneller nach Hause zu kommen, habt ihr statt eurer Fahrräder das Auto genommen. Dabei stoßt ihr CO2 aus. Zusammen mit den Emissionen vieler anderer Menschen verändert dies langsam das Klima. Diese Veränderung führt nach Jahrzehnten zu Ernteeinbußen bei Bauern in fernen Entwicklungsländern. „Die kurze Strecke ist egal“, denkst du, „Hauptsache wir sind schnell zu Hause und außerdem sind wir ja immerhin zu viert in einem Fahrzeug unterwegs.“

War es falsch, das Auto zu nehmen?


Diese gut gewählten Fälle können die Schüler*innen Ihrer Lerngruppe im Unterricht miteinander diskutieren. Für die Fallanalyse sind die folgenden Grafiken zur Unterstützung hilfreich:



Die folgenden Fragestellungen können als Leitlinie für die unterrichtliche Auseinandersetzung mit den Fällen verwendet werden. 1. Entscheide dich spontan, ob es falsch oder richtig war, die Abkürzung zu nehmen. 
a. Begründe deine Entscheidung. 
b. Wäge deine Gründe ab und gib deinen wichtigsten Grund an. 
2. Analysiere die vorgebrachten Gründe. 
a. Wem gegenüber liegen Verpflichtungen vor? 
b. Wozu ist man gegenüber den Betroffenen verpflichtet? 
c. Welche Handlungen sind möglich? Welche Handlungen sind in Anbetracht der Verpflichtungen moralisch richtig und damit fair, welche sind unfair? 
3. Vergleiche die beiden Fälle nach den Beteiligten, den Folgen und den Handlungspflichten.

Text: Stefan Applis (2020)

Grafiken: Stefan Applis (2019)

Arbeitsmaterial: Stefan Applis (2020)