Der Beitrag von Philosoph*innen zur Klimadebatte
Der Philosoph Christoph Herrler beschäftigt sich in seinem Beitrag auf dem Philosophie-Blog prae | faktisch mit der Frage, ob und wie sich die Folgen der Klimaerwärmung auch als Verletzung oder zumindest Bedrohung von Menschenrechten beschreiben lassen.
Die mit dem anthropogenen Klimawandel einhergehende Erderhitzung ist mit vielen negativen Folgen verbunden. Dies dürfte allen, die naturwissenschaftliche Fakten als solche begreifen, nicht entgangen sein. Diese Folgen lassen sich häufig als Verletzung oder zumindest Bedrohung von Menschenrechten beschreiben. Gleichwohl sprechen die direkt politisch Verantwortlichen – meinem Eindruck nach – beim Klimaschutz eher von Kosten und Nutzen als von Menschenrechten. Wäre ein Umdenken angebracht?
Christoph Herrler
Christoph Herrler plädiert dafür, dass mit Menschenrechten einfacher und komplexer für Klimaschutz argumentiert werden könne als mit ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnungen. So bestehe weniger die Gefahr Klimaschutz einseitig zu gestalten und moralischen Pflichten gegenüber Menschen weniger Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, weil Menschenrechte individuelle Betroffenheit besser abbilden können.
Im Folgenden werden Herrlers Überlegungen kurz skizziert:
- Kosten-Nutzen-Rechnungen diskontieren immer auch zeitlich; diese bewirkt, dass künftig anfallender Wohlstand relativ zum gegenwärtigen Wohlstand weniger zählt. Aus ethischer Sicht ist aber prinzipiell auf die moralische Gleichbehandlung aller Menschen zu achten, unabhängig vom Geburtszeitpunkt; dies kann das Menschenrechtsprinzip der Nicht-Diskriminierung deutlich machen.
- Menschenrechtliche sowie generell klimaethische Ansätze gelten auch beim Vorliegen von Ungewissheit bzw. Eintrittswahrscheinlichkeit (z. B. Kipppunkte im Klimasystem); hier kommt das Vorsorgeprinzip (etwa in Kombination mit dem Maximin-Prinzip) zum Tragen, das sich auch in Artikel 3 der UN-Klimarahmenkonvention findet; demnach sind klimapolitische Maßnahmen auch dann vorzunehmen, wenn völlige wissenschaftliche Gewissheit fehle, aber die drohenden Schäden ernsthaft und nicht wiedergutzumachen sind – aus menschenrechtlicher Sicht dürfen diese nicht so groß sein, dass sie künftig lebenden Menschen prekäre Bedingungen aufzwingen, die ein Leben nach gerechten Prinzipien verhindern.
- Besonders verwundbare Gruppen können nur durch Menschenrechtsperspektiven erfasst werden, d. h. dass z. B. der Wohlstand von Menschen, die in kleinen Inselstaaten wie den Malediven wohnen, nicht gegen den Wohlstand von Menschen anderer Regionen aufgerechnet werden darf.
- Menschrechtsargumentationen müssen sich nicht auf einen ökonomischen Maßstab begrenzen: „Wie etwa sollte der Verlust von Heimat, wie er nicht nur künftigen Bewohner*innen der Malediven durch den Klimawandel droht, in Geldwerten angemessen ausgedrückt werden? Menschenrechte können hier immerhin – wie jüngst durch den UN-Menschenrechtsausschuss geschehen – auf Asylansprüche verweisen (vgl. OHCHR 2020).
- Menschenrechtsansätze können besser ausdrücken, dass nicht alle Menschen im selben Maße vom Klimawandel betroffen sind bzw. sein werden, z. B. Vulnerabilität, soziale und biologische Gesundheit, Arbeitsrecht und Arbeitsgesundheit.
Die Betroffenheit durch negative Folgen des Klimawandels unterscheidet sich also nicht nur bezüglich der Generationenzugehörigkeit und Region, sondern ist auch innerhalb von menschlichen Gemeinschaften heterogen. Menschenrechte (hier etwa das Menschenrecht auf Gesundheit) können – da sie stark auf das Individuum bezogen sind – diese Unterschiede berücksichtigen.
Christoph Herrler
Generell kann der Beitrag helfen, ökonomische, naturwissenschaftliche und andere Argumentationen von ethischen Argumentationen zu unterscheiden und Klarheit über einzelne Argumentationsstränge (s. 1. bis 5.) zu gewinnen. Zudem ist es relevant auch den Blick auf die Verknüpfung von moralischen und bestehenden legalen Normen im internationalen und nationalen Recht zu achten.
Text: Stefan Applis (2021)
Bild: prae|faktisch
Zum Autor:
Christoph Herrler lehrt und forscht am Institut für Politische Wissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er arbeitet zu Fragen der Klimapolitik und Klimaethik, der Menschenrechte, der Generationengerechtigkeit und zu bio-, risiko- und medizinethische Fragen und deren politischer Bedeutung.
Leseempfehlungen
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Hack, Caroline & Herrler, Christoph (2020): Teilhabe im Pflege- und Gesundheitswesen – menschenrechtliche Fundierung und ethische Aspekte bei der Realisierung. In: Riedel, Annette & Lehmeyer, Sonja (Hg.): Ethik im Gesundheitswesen. Berlin (Springer). (i. E.)
Herrler, Christoph (2017): Warum eigentlich Klimaschutz? Zur Begründung von Klimapolitik. Baden-Baden (Nomos).
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