Das Problem der geringe Bereitschaft zu klimafreundlichem Handeln
Vorgestellt wird ein didaktisch und methodisch begründeter Vergleich zwischen einer Textfassung und einem Jung&Naiv-YouTube-Gespräch jeweils zum sogenannten Allmende-Dilemma, das im globalen Horizont des Klimawandels ein besonders geeignetes Modell ist, um die oft zu geringe Motivation zu klimafreundlichem Handeln kritisch zu reflektieren.
Zum Motiviationsproblem aus tugend-ethischer Perspektive
In seiner Dissertation „Das Motivationsproblem angesichts des Klimawandels. Ein tugend-ethischer Lösungsansatz“ aus dem Jahr 2018 setzt sich Fabian Sandkühler kritisch mit einer unkritischen Haltung auseinander, die zu einem „Nach uns die Sintflut!“ führte. Seine Studie ist schon allein deshalb lesenswert, weil der Autor in ihrem Verlauf nicht nur den Klimawandel multiperspektivisch als ein gesellschaftliches Problem betrachtet und seinen Ansatz der Tugendethik psychologisch erörtert, sondern letzteren von Ansätzen des Utilitarismus und der Pflichtethik abgrenzt, wozu er die zwei Alternativmodelle ebenfalls in Exkursen erläutert. Ferner grenzt er die Inanspruchnahme von Kardinaltugenden als Haltungen der Klimafreundlichkeit sowohl vom politischen Liberalismus nach John Rawls als auch vom Fähigkeitenansatz nach Amartya Sen bzw. Martha Nussbaum ab. Unabhängig davon, ob man Sandkühler in allen Details zustimmt, enthält seine Abhandlung einen hilfreichen Überblick über das Feld der ethischen Theorien in Bezug auf den Klimawandel.
Das Problem der schwierigen Motivation klimafreundlichen Handelns erläutert Sandkühler u.a. durch Darstellung und Erläuterung des sogenannten Allmende-Dilemmas. Dieses für viele wirtschafts- und umweltethische Fragen bedeutende Dilemma geht auf den US-amerikanischen Ökologen Garett Hardin (vgl. Hardin 1968) zurück und bündelt Reflexionen zur nicht zuletzt im Alltag oft erlebten Problematik, dass ein jedes Allgemeingut aus begrenzten Ressourcen, auf die viele Akteure zurückgreifen können, häufig auf eine nicht-ideale Weise genutzt wird.
Sandkühler (Sandkühler 2018, 53ff.) erläutert kurz das Dilemma, indem er das Klimasystem als globale Allmende begreift und auf den Umgang mit Treibhausgasen zuspitzt. Er hält dann sehr gebündelt vier Fallen fest, die un-/ethisches Handeln bezüglich des Problems der CO2--Emissionen beträfen: Viele mächtige internationale Akteure verschleppten ihre klimaethische Pflicht, indem sie
- kurzfristig am eigenen Vorteil orientiert auf Kosten anderer handelten
- die zeitliche Geduld für gesellschaftliche Nach- bzw. Vorteile nicht aufbrächten
- Strategien räumlicher Externalisierung (= „Not-in-my-Backyard“-Syndrom) verfolgten
- schließlich die Vulnerabilitätsfalle anderer Länder zugunsten der eigenen Privilegien (sog. Sicherheitsfalle der Industriestaaten) vernachlässigten
In der Summe verdeutliche das Dilemma, warum für viele der führenden Industriestaaten ein Verantwortungsdefizit festzuhalten sei.
Der Vorteil dieses sogenannten Dilemmas, das strenggenommen wohl gar kein Dilemma ist, sondern eher ein ethisches Problem anschaulich macht, liegt aus meiner Sicht darin, dass es ein Modell für viele alltägliche, genauso aber globale Probleme darstellt. Es ist also in vielerlei Hinsichten anschlussfähig, etwa auch für ein nicht-ideales Verhalten der Heranwachsenden in ihrer Klasse, Schule etc. – oder auch für das zu kritisierende Verhalten ihrer Lehrer*innen. Es soll aber nicht um ein Shaming and Blaming gehen, sondern um ein kritisches Reflektieren einiger für Ethikunterricht wesentlicher Aspekte wie Egoismus/Altruismus, Nähe/Distanz etc. Ein Vorteil des Allmende-Dilemmas liegt zugleich darin, dass seine Komplexität variierbar ist; so ist es als Kopie aus dem Buche Sandkühlers als Material für die Oberstufe nutzbar, es kann aber auch mittels einer kurzen, einfachen Internetrecherche von jüngeren Schüler*innen selbst aufbereitet oder für sie altersadäquat vorbereitet werden (vgl. exemplarisch Stollorz 2011 und Stefan 2016; ggf. findet es sich sogar längst in manchen Geographie- oder Ethikschulbüchern mit einem Schwerpunkt zu globaler Politik oder Umweltethik).
Das Allmende-Dilemma aus klimaökonomischer Perspektive
In Tilo Jungs Gespräch mit dem Klimaökonomen Ottmar Edenhofer, der auch zum Personal des PIK zählt, von Jung aber zugleich als „Mr. CO2-Preis“ angekündigt wird, geht es ebenso um den Emissionshandel und um das Allmende-Dilemma. Beide unterhalten sich insgesamt mehr als zwei Stunden auch über weitere Themen wie das Institut, Aspekte der Klimapolitik, Fragen sozialer Gerechtigkeit u.v.m. In seinem Zentrum kreist der Dialog um das Konzept des CO2-Handels, das Edenhofer pragmatisch verteidigt, während Jung der Pragmatismus globalpolitisch nicht weit genug geht (darum ggf. auch die etwas spitze Ankündigung; s.o.). Etwa zur Mitte dieses Gesprächs nimmt Edenhofer (1:04:09-1:09:56) [direkter Link zum Ausschnitt: https://www.youtube.com/watch?t=3849&v=LFJOuQBRtYk&feature=youtu.be] hierbei auf das Allmende-Dilemma Bezug; auch in diesem Fall ist es heuristisch attraktiv, dass dies formal bzw. medial und inhaltlich auf andere Weise geschieht als bei Sandkühler.
Beide Unterrichtsmedien sollten in einer Einheit zu z.B. ethischen Aspekten des Klimawandels, trotz ihrer hohen Dichte, aufgrund der grundsätzlichen Verständlichkeit beider für Schüler-*innen ab dem neunten Jahrgang geeignet sein. Je nach Komplexität der Aufbereitung (s.o.) des Allmende-Dilemmas (s.o.) sind beide in eine Einzel- oder Doppelstunde einzufügen. Zu Beginn dieser Unterrichtssequenz sollte der Begriff Allmende bereits – z.B. in einem gerechtigkeits-theoretischen Horizont – geklärt worden sein. Ein Grundverständnis eines globalen Handels mit Emissionen sollte auch vorhanden sein. Anschließen könnte sich ggf. eine Recherche zu Ideen und zur Person Elinor Ostroms (erste Nobelpreisträgerin der Ökonomie im Jahr 2009; vgl. Ostrom 1999; 2011 und 2012) oder die kreative Gestaltung einer praktischen Allmende-Idee für sämtliche Mitglieder in der Klasse bzw. im Kurs.
Zur Methode des Vergleichs
In diesem Fall wird ein explizit diskursiver Textauszug (Sandkühler) mit einem audiovisuellen Medium verglichen (Jung&Naiv), das als präsentatives gilt, aufgrund seiner hohen Gesprächs-astigkeit aber zugleich dem Diskurs zuneigt. Welche Vorteile ergeben sich hierbei?
1) Erläutern und zusammenfassen:
Ich empfehle erstens den Auszug Sandkühlers (oder die andere schriftliche Aufbereitung des Allmende-Dilemmas) zu behandeln. Das Problem sollte klar erläutert und an Alltagsbeispielen illustriert werden. Zusätzlich sollten die vier Begründungen dieses nicht-ethischen Handelns und seine Folgen danach der exakten Gliederung des Textes gemäß zusammengefasst werden. Ähnlich sollte der Verlauf des Dialogs zwischen Edenhofer und Jung wiedergegeben werden, der von der Vorbildfunktion Elinor Ostroms bzw. der Gegenüberstellung ihres Optimismus zur Allmende und Hardins Skepsis über einige Beispiele (eins aus dem früheren Studentenalltag Edenhofers) bis hin zur Erläuterung der elementaren Grundlage reziproken Handelns und zur Kontrastierung von lokalen Gemeingütern und globaler Klima-Allmende reicht.



2) Analysieren und vergleichen:
Im zweiten Schritt sollte man die spezifische Wirkung der zwei verschiedenen Gestaltungen zuerst exemplarisch analysieren. Dabei sollte die Gleichheit der Thematik festgehalten, aber es sollten auch je unterschiedliche Aspekte benannt und erläutert werden, etwa die Eindeutigkeit der Annahme eines Dilemmas in Sandkühlers Text bzw. Edenhofers mündliche Hinweise zu zweideutigen Erfolgsaussichten einer Orientierung an Allmende(n). Von dieser thematischen Differenz aus sollten Schüler*innen einerseits Haltungen ihrer Urheber reflektiert erkennen: Der Philosoph Sandkühler stellt das Dilemma als Dilemma dar, womit Skepsis erklärbar wird; der politische Ökonom Edenhofer strebt Lösungen an und muss differenzierter mit Chancen und Risiken der globalen Allmende umgehen, die er als ethisches Problem charakterisiert.
Andererseits ist danach – erneut – die jeweilige Form der Unterrichtsmedien heranzuziehen. Oberflächlich wahrgenommen ist der Dialog viel weniger linear als der Text – ist es Zufall, dass dieser Umstand mit den zwei verschiedenen Haltungen übereinstimmt? Spannender ist die Tatsache, dass kein Text ein Gesicht hat bzw. Edenhofer im aufgezeichneten Interview neben einem Tonfall auch über Mimik und Gestik verfügt. Dass er dadurch lebendiger wirkt, ist trivial, dass jedoch z.B. sein niederbayerischer Dialekt für das Lokale steht, das im Globalen nicht verloren gehen darf, ist es weniger. Spannend ist hingegen die Szene, in der Edenhofer das Wesen der „reziproken Interaktion“ (ab 0:16:30) erklärt und dabei verstärkend die Gestik seines Fingers nutzt, der eindringlich auf sich und Jung zeigt: Ohne gegenseitige Kooperation kein guter Umgang mit der Klima-Allmende oder: Obwohl und weil es um das Globale geht, ist jede/r Einzelne gefragt! Auch Edenhofers Enthusiasmus im Tonfall, als er diese neuartige Menschheitsaufgabe betont, das globale Überangebot der fossilen Ressourcen jetzt in Mangel zu wandeln, hätte der Text – selbst bei anderer Position – nie haben können.
3) Erörtern und bewerten:
Ausgehend vom Vergleich beider Positionen und ihrer Darstellungen sollten Schüler*innen abschließend zum individuell begründeten Urteil zum Problem kommen, ob lokale Allmenden ein geeignetes Modell für die globale Klima-Allmende sein können.
Die Haltung der Reziprozität als Goldene Regel wird im unmittelbaren Fortlauf des Gesprächs von Jung und dem christlich geprägten Edenhofer zu den Zehn Geboten in Beziehung gesetzt. Im kritischen Urteil der Schüler*innen zur Allmende stehen und fallen also auch traditionelle Wertmaßstäbe, die im Ethikunterricht zwar oft zu Tode zitiert, jedoch selten zum Kriterium einer klimafreundlichen Anthropologie werden (vgl. hierzu auch Ott 2010, 36-55).
Text: Florian Wobser (2020)
Bild: Jung&Naiv (youtube-Screenshot)
Literatur
Jung&Naiv Folge 477 (2020):“Mr. CO2-Preis“ Ottmar Edenhofer (Institut für Klimafolgenforschung):
Hardin, Garret (1968): The Tragedy of the Commons. Science 162/1968. S. 1243-48.
Stefan, Leopold (2016): Die wahre Tragik der Allmende. NZZ 04.01.2016: https://www.nzz.ch/international/schwerpunkt-allgemeingut-die-wahre-tragik-der-allmende-ld.1296135
Stollorz; Volker (2011): Elinor Ostrom und die Wiederentdeckung der Moral. Gemeingüter. Aus Politik und Zeitgeschichte 28-30/11: https://www.bpb.de/apuz/33204/elinor-ostrom-und-die-wiederentdeckung-der-allmende
Ostrom, Elinor (1999): Die Verfassung der Allmende. Jenseits von Staat und Markt. Tübingen: Mohr Siebeck.
Ostrom, Elinor (2011): Handeln statt Warten: Ein mehrstufiger Ansatz zur Bewältigung des Klimaproblems. Leviathan 39 (3) 447-458.
Ostrom, Elinor (22012): Was mehr wird, wenn wir nicht teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter. München: Oekom.
Ott, Konrad (2010): Umweltethik zur Einführung. Hamburg: Junius.