Greenpeace und das Hilfswerk Misereor beauftragten die zwei renommierte Jurist*innen, Dr. Rhea Hoffmann und Prof. Dr. Markus Krajewski, beide Spezialisten für Internationales Rechts und Menschenrechtsfragen von der Friedrich-Alexander-Universität, mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens. Das Gutachten belegt, dass nur Neuverhandlungen den Schutz von Mensch und Natur gewährleisten können – die bisherigen Übereinkünfte entsprechen weder den UN-Nachhaltigkeitszielen noch garantieren sie grundlegende Rechtsgleichheit.

Rhea Tamara Hoffmann & Markus Krajewski (2021). Rechtsgutachten und Vorschläge für eine mögliche Verbesserung oder Neuverhandlung des Entwurfs des EU-Mercosur-Assoziierungsabkommens. Online verfügbar unter: https://www.greenpeace.de/publikationen/rechtsgutachten-eu-mercosur-vertrag

Unterrichtlicher Einsatz

Das Rechtsgutachten und das folgende Interview sind sowohl für den Geographie- als auch für den Philosophie-/Ethikunterricht ab der 10. Jahrgangsstufe geeignet. Im Geographieunterricht können die Dokumente in den Themenfeldern Globaler Handel, Entwicklungstheorien und Bildung für Nachhaltigkeit als Textgrundlage verwendet werden, im Philosophie-/Ethikunterricht bei der unterrichtlichen Behandlung von Fragen Internationalen Rechts, der Menschenrechte und der Klimaethik. Das folgende Interview fasst die zentralen Ergebnisse äußerst bündig, so dass davon ausgehend auch die Beschäftigung mit den genannten Themenfelder eröffnet werden kann für eine darauf folgende tiefer gehende Behandlung von Einzelfragen.

Greenpeace-Interview

(Übernahme des vollständigen Interviews mit Empfehlung zur unterrichtlichen Verwendung)

Greenpeace: Frau Hoffmann und Herr Krajewski, Sie haben im Auftrag von Greenpeace und Misereor ein Rechtsgutachten über das EU-Mercosur Handelsabkommen angefertigt. Was haben Sie dabei untersucht?

Rhea Hoffmann und Markus Krajewski: Gegenstand unseres Rechtsgutachtens ist das Nachhaltigkeitskapitel im geplanten Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Mercosur. Wir haben die Bestimmungen zu Arbeitsrechten, Menschenrechten, Umweltstandards und Klimaschutz analysiert und konkrete Änderungsvorschläge vorgelegt, um deren Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit in dem Abkommen sicherzustellen. Dabei ging es auch um die Frage, mit welchen rechtlichen Instrumenten diese Verbesserungen umzusetzen wären und welche Implikationen eine mögliche getrennte Abstimmung über den Handelsteil ohne die Teile zur Kooperation und zum politischen Dialog auf die Nachhaltigkeitsbestimmungen hätte.

Wenn Sie mit einem Satz Ihre wichtigste Erkenntnis formulieren müssten, wie würde der Satz lauten?

Das EU-Mercosur Assoziierungsabkommen weist erhebliche Defizite im Bereich nachhaltiger Entwicklung auf, die sich nicht durch Zusatzvereinbarungen beheben lassen, sondern echter Neuverhandlungen bedürfen.

Die EU versucht das umstrittene Abkommen zu retten, indem sie ihm eine zusätzliche Vereinbarung beifügt. Was könnte diese Zusatzvereinbarung aus juristischer Sicht überhaupt bewirken?

Leider nicht das, was sie erreichen müsste. Dazu bedarf es Neuverhandlungen. Das Problem ist, dass Zusatzvereinbarungen (so wie von der EU gedacht) nicht in ausreichendem Umfang sowohl die Ebene effektiver Verpflichtungen als auch die Ebene der Durchsetzung dieser Verpflichtungen beträfen. Anders formuliert: Wenn die Vertragsparteien ein effektives Nachhaltigkeitskapitel wünschen, das verbindliche und durchsetzbare Standards enthält, dann könnten sie das Kapitel auch neu verhandeln.

Welche Konsequenzen müssten die Verantwortlichen in der EU Ihrer Meinung daraus ziehen?

Nachhaltigkeitskapitel in Handelsabkommen der EU müssen einer verbindlichen Streitbeilegung unterworfen sein, so wie es die Handelsbestimmungen der Abkommen auch sind. Aber auch die anderen Kapitel des Abkommens müssen eine Nachhaltigkeit unterstützen. Fragen nachhaltiger Entwicklung dürfen nicht zu politischen Fragen zweiter Klasse erklärt werden.

Außerdem gibt es wohl Überlegungen der EU-Kommission, das Handelsabkommen aus dem Assoziierungsabkommen herauszulösen, also ein sogenannten “Splitting” durchzuführen. Was heißt das?

Das  „Splitting“ betrifft die Frage, ob der handelspolitische Teil des Mercosur-EU-Abkommens vom politischen Teil des Abkommens abgetrennt werden soll, um eine Ratifizierung nur durch den Rat der EU zu ermöglichen.  Die Mitgliedstaaten wären in dem Fall nicht an der Abstimmung beteiligt.  Diese Option ist rechtlich möglich, da der handelspolitische Teil des Abkommens in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen würde und der politische Teil des Abkommens in die geteilte Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und der EU.

Was würde das Splitting für den Schutz von Menschenrechten und Umwelt bedeuten?

Aus Sicht der nachhaltigen Entwicklung besteht das Problem, dass das Nachhaltigkeitskapitel keine Verweise auf die Menschenrechte enthält. Ferner ist auch die sogenannte Klausel über die wesentlichen Bestandteile, die eine Aussetzung des Handelsabkommens im Falle schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen ermöglichen würde, nicht im Handelsteil enthalten. Wenn das Abkommen also in diesem Sinne aufgeteilt würde, hätte es eine noch negativere Auswirkung auf die nachhaltige Entwicklung. Abgesehen von den rechtlichen Fragen würde eine Aufteilung des Abkommens auch den Teil der politischen Zusammenarbeit schwächen, der erst viel später oder nie ratifiziert würde.

Sie beschäftigen sich mit Menschenrechten und internationalem Handel. Was ist Ihre persönliche Vision für einen Schritt in Richtung soziale Gerechtigkeit in Handelsfragen?

Fragen nachhaltiger Entwicklung und des Handels müssen zusammengedacht werden, statt gegeneinander ausgespielt zu werden. Das Zusammenspiel zwischen beiden Fragen ist überaus komplex und je nach Handelspartnern mit unterschiedlichen Problemen belastet. Dabei ist es von übergeordneter Bedeutung nicht nur Nachhaltigkeitsfragen in separaten Kapitel in einem Handelsabkommen niederzulegen, sondern das ganze Abkommen nachhaltig zu gestalten. Schematische Einheitslösungen sind daher nicht das Mittel der Wahl. Vielmehr bedarf es einer interdisziplinären Zusammenarbeit in der Wissenschaft, etwa zwischen Rechtswissenschaften, Geowissenschaften, Ökonomie und Umweltwissenschaften als auch intensive Vorbereitungen auf Seiten der Verhandlungsführer, die diese Diversität der Aspekte abbilden müssen.“

Text: Stefan Applis (2021), Textzusammenstellung und Textübernahmen nach unten stehenden Quellen.

Bild: Greenpeace & Rechtsgutachten zum EU-Handelsabkommen mit den vier südamerikanischen Mercosur-Ländern

Screenshot: Greenpeace (2021), https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/waelder/waelder-erde/verhandelbar

Literatur

Rhea Tamara Hoffmann & Markus Krajewski (2021). Rechtsgutachten und Vorschläge für eine mögliche Verbesserung oder Neuverhandlung des Entwurfs des EU-Mercosur-Assoziierungsabkommens. Online verfügbar unter: https://www.greenpeace.de/publikationen/rechtsgutachten-eu-mercosur-vertrag

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2019). EU und Mercosur einigen sich auf Assoziierungsabkommen mit Freihandelsteil. Online verfügbar unter: https://www.bmel.de/DE/themen/internationales/aussenwirtschaftspolitik/handel-und-export/eu-mercosur-assoziierungsabkommen-freihandel.html

Weiterführende Leseempfehlung (für Geographielehrkräfte)

Fabian Thiel (2021). Book review: Markus Krajewski and Rhea Tamara Hoffmann (eds.): Research Handbook on Foreign Direct Investment. Erdkunde 75 (1) 2021, 65-67; https://www.erdkunde.uni-bonn.de/archive/2021/markus-krajewski-and-rhea-tamara-hoffmann-eds.-research-handbook-on-foreign-direct-investment