Zur Notwendigkeit einer Ethik der medialen Kriegsteilnahme

In seinem auf prae|faktisch.de veröffentlichten Beitrag „Wir alle sind Teilnehmende des medialen Krieges“ plädiert Johannes Müller-Salo, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Leibniz Universität Hannover, für die „Entwicklung einer Ethik der medialen Kriegsteilnahme“ (Müller-Salo). Dabei bezieht er sich auf die vier Bedingungen der Theorie des bellum istum, des gerechten Krieges. Demzufolge kann ein Krieg gerechtfertigt sein, wenn vier Bedingungen erfüllt sind, auch wenn dabei nicht geleugnet wird, dass ein Krieg in jedem Fall Leid verursachen wird, ob er nun nach dieser Theorie wirklich gerecht sei oder nicht. Müller-Salo hält eine Ethik der medialen Kriegsteilnahme insofern für notwendig, als dass er der Auffassung ist, dass wir nicht nur als passive Konsumenten in den Medien auftreten, sondern auch aktiv, z.B. durch Reproduktion, durch von uns selbst ausgewählten Beiträgen am Geschehen teilhaben. Wir sind also dann nicht nur mehr Beobachter, sondern Teilnehmer.

Um eine Ethik der medialen Kriegsteilnahme zu entwickeln, muss nach Müller-Salo erstens geklärt werden, inwiefern der Krieg unter den Bedingungen des gerechten Krieges, moralisch bewertet wird. Zweitens sollten „[i]m Zentrum (…) die Prinzipien der Nichtschädigung und Nothilfe stehen“ (Müller-Salo):

  1. Andere dürfen nicht in ihren Rechten und Interessen verletzt werden.
  2. Mit der in den Medien genutzten Sprache sowie auch mit Begriffen muss sensibel umgegangen werden (z.B. keine „Pauschalurteile“).
  3. Emotionen sollten nur äußerst bedacht in den Medien zum Ausdruck gebracht werden.

Arten medialer Nothilfe

Mediale Nothilfe kann insofern praktiziert werden, indem z.B. konkrete Beiträge, die mein Umfeld betreffen, weitergeleitet werden. Solidaritätsbekundungen in den Medien als Nothilfe einzustufen, ist nach Müller-Salo kritisch zu betrachten. Auf der einen Seite könnten diese Bekundungen eine Wirkung auf andere Menschen haben und so zu weiteren Handlungen der Nothilfe führen. Auf der anderen Seite könnte man eine Solidaritätsbekundung als mit zu wenig Aufwand für die bekundende Person beurteilen und diese Handlung als zu schwach für einen „Beitrag als Hilfe in der Not“ (Müller-Salo) betrachten. Folglich ist für eine vollständige Ethik der medialen Kriegsteilnahme nach Müller-Salo noch Einiges zu klären.

Didaktische Eignung und unterrichtlicher Einsatz

Der Beitrag wendet eine antike Theorie auf ein aktuelles Thema an und bezieht diese Theorie als Fundament in einen Lösungsvorschlag für eine nahegelegte Ethik der medialen Kriegsteilnahme ein.  Es werden mehrere für den Philosophie- und Ethikunterricht diskussionsbedürftige Themen gleichzeitig berührt:

  • Zunächst die Frage zu stellen, ob es einen gerechten Krieg geben kann und inwiefern die Theorie des bellum iustum, um einen Krieg zu rechtfertigen, legitim ist. Folglich, ob es einen gerechten Krieg überhaupt geben kann.
  • Zweitens kann unter Verwendung des Beitrags im Unterricht geprüft werden, ob es einer solchen Ethik der medialen Kriegsteilnahme bedarf, sowie welche Akteure als Kriegsteilnehmende einzustufen sind und ggf. die vorgeschlagene Lösung erweitert oder verändert werden sollte.
  • Zuletzt ist die Thematik der medialen Teilnahme insgesamt hochaktuell und nicht nur ausschließlich auf Krieg bezogen von Bedeutung. So sollten die allgemeinen Konsequenzen von medialer Teilnahme im Ethik – und Philosophieunterricht reflektiert werden.

Text: Liv Brunner (2022), unter engem Bezug auf Müller Salo (2022), Wir alle sind Teilnehmende des medialen Krieges. prae|faktisch.de

Bild: prae|faktisch.de

Lesempfehlung/Hintergrundwissen

Brüggemann, Michael & Wessler, Hartmut (2009). Medien im Krieg. Das Verhältnis von Medien und Politik im Zeitalter transnationaler Konfliktkommunikation. In: Politik in der Mediendemokratie, Hg. von Frank Marcinkowski. VS Verlag für Sozialwissenschaft; online verfügbar unter: http://bruegge.net/wp-content/uploads/2020/02/brueggemann_wessler_medienimkrieg_pvs42_09.pdf

Über Medien: Ukraine

Quelle: Über Medien: Ukraine, online verfügbar über: https://uebermedien.de/tag/ukraine/

Bundeszentrale für Politische Bildung

Quelle: Bundeszentrale für Politische Bildung (2011). Krieg in den Medien; online verfügbar unter: https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/krieg-in-den-medien/130603/mediale-kriegsdarstellungen-vom-kriegsbericht-bis-zum-computerkriegsspiel/

Interview mit Markus Krajewski, Medienhistoriker an der Universität Basel

Quelle: Medienhistoriker Markus Krajewski (2022): «Jeder weiss, wie einfach Fotografien und Videos digital zu manipulieren sind»; online verfügbar unter: https://www.nzz.ch/feuilleton/medien/ukraine-krieg-medienhistoriker-ueber-die-neue-rolle-der-medien-ld.1673759