EthicalGEO – Ein Blog-Projekt der American Geographical Society

Auf der Website der American Geographical Society heißt es: "Die EthicalGEO-Initiative will Denker, Innovatoren, Unternehmer, politische Entscheidungsträger, Praktiker, Studenten und normale Bürger aktivieren und sie in einen globalen Dialog einbinden, der ihre besten Ideen zu den ethischen Herausforderungen und Chancen beleuchtet, die sich durch die vielen Geodaten-Technologien und -Datenquellen ergeben, die unsere Gesellschaft umgestalten." Die Initiative zielt darauf ab, eine breitere Diskussion über die künftigen Auswirkungen der Flut von Geodaten-Innovationen anzustoßen, die Teil unseres täglichen Lebens geworden sind.

Im Beitrag über informelle Siedlungen, d. h. über Wohnungen, die auf Grundstücken errichtet wurden, auf die ihre Bewohner keinen Rechtsanspruch haben und ungeplante Siedlungen, in denen nicht vorschriftsmäßig oder ohne Genehmigung gebaut wird, geht es um die Kontrolle dieser Räume durch Satellitenüberwachung und Fernerkundung. Ob diese Gebiete kartiert werden, wer den kartografischen Prozess kontrolliert, wie Geodaten gesammelt und generiert werden und wie diese Informationen dann gespeichert und der Öffentlichkeit präsentiert werden, hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Menschen in diesen Siedlungen und kann durch größere geopolitische Konflikte Folgen für diejenigen in rechtlich anerkannten städtischen Gebieten haben.

For those living in informal housing outside large cities like Dharavi in Mumbai, Kibera in Nairobi or in Brazilian favelas, a lack of geographic recognition shuts residents out of urban decision-making processes and resource distribution. Water scarcity and sanitation are persistent problems in socially excluded, unmapped areas. If maps do exist, actual structures can differ from official records because many cities have not expended resources to build spatial data frameworks for informal settlements, and they are erected without public oversight of land use and building regulations.

Michael Wallace (2022). Who Gets Mapped? The Politics of Mapping Informal Settlements. EthicalGeo.

Didaktisch-methodische Anmerkungen

Der Beitrag erläutert grundlegende Herausforderungen für Stadtverwaltungen, die von informellen Siedlungen ausgehen, z. B. die ständige Verschiebung der bebauten Umwelt, welche die Erfassung von Straßen, Parzellen und Grundstücken erschwert und so die Erhebung von Volkszählungs- und Bevölkerungsdaten ungenau macht – sofern sie überhaupt versucht wird. Generell sind die inoffiziellen Nachbarschaften in der Regel einkommensschwach oder befinden sich in Slums, was bedeutet, dass eine geringe oder nicht vorhandene Steuer- und Wahlbeteiligung es schwierig macht, ihre Bedürfnisse bei Entscheidungsprozessen zu vertreten. Während einige Regierungen und offizielle Institutionen nicht in der Lage oder nicht gewillt sind, Ressourcen für die Kartierung informeller Siedlungen bereitzustellen, führen einige Gemeinden wie Poço da Draga in Brasilien ihre eigenen Volkszählungen durch, führen lokale Eigentumsregister und nutzen Open-Source-Kartierungswerkzeuge wie OpenStreetMap, um die Lücken der offiziellen Karten zu füllen. Die internationale Nichtregierungsorganisation Humanitarian OpenStreetMap Team unterstützt Dutzende von Projekten auf der ganzen Welt, die räumliche Daten für die Entwicklung von Gemeinschaften und humanitäre Maßnahmen sammeln.

Weiterhin geht es um Konflikte, welche Bevölkerungsbewegungen antreiben und Grenzen verändern, wodurch umstrittene Räume entstehen. Wer bestimmt, welche Siedlungen informell oder anerkannt sind und wie und welche Art von Informationen in welcher Reihenfolge auf einer Karte erscheinen, ist nach wie vor die Ursache der hartnäckigsten Streitigkeiten. Dies wird am Beispiel der Landkarte Palästinas erläutert, welche im Laufe des 20. Jahrhunderts während der israelischen Besatzung immer mehr zersplittert wurde, so dass die Landschaft heute als „Schweizer Käse“ beschrieben wird, da ständig Gebiete von Israel annektiert und illegale Siedlungen gebaut werden. Während die UNO und ihre 135 Mitgliedsstaaten Palästina als unabhängigen Staat anerkennen, tun dies die USA nicht.

In a territorial conflict, maps cannot be value-neutral, and as Google, Amazon (AWS) and GIS services from Esri create and manage the data infrastructure relied upon by individuals and governments, choices made by these companies affect outcomes directly on the ground. Boundary demarcations and labels in online maps legitimize one set of viewpoints or territorial claims, and can serve as de-facto global recognition, e.g. illegal Israeli settlements. Neither Google Maps nor Apple Maps have a “Palestine” label on the appropriate land area, while Bing and MapQuest have the labels “Palestine” or “State of Palestine,” and Yandex Maps outlines Palestinian borders. While these private tech companies do not have the mission of arbitrating international boundaries, applications and geospatial technologies are so ubiquitous and critical for the global economy that they have an outsized influence, often above and beyond governments and traditional institutions.  

Michael Wallace (2022). Who Gets Mapped? The Politics of Mapping Informal Settlements. EthicalGeo.

Von den beiden Beispielen ausgehend lässt sich erarbeiten, wie Projekte wie der Atlas der Informalität versuchen, eine postkoloniale Informationsstruktur aufzubauen und dabei die Möglichkeiten der KI zu nutzen, um die lückenhafte Datenlage in vielen Ländern und Regionen des globalen Südens zu verbessern. Organisationen wie UNICEF und Kooperationen wie die Locus-Charta arbeiten ebenfalls an einem ethischen Rahmen für die Anwendung von Geodaten und -technologien, der vor allem in Entwicklungs- und humanitären Kontexten von Bedeutung ist.

Text: Stefan Applis (2022) auf Grundlage des Beitrages „Who Gets Mapped? The Politics of Mapping Informal Settlements“ von Michael Wallace

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Leseempfehlung:

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- & Raumforschung (Hersg.). Informeller Urbanismus. Informationen zur Raumentwicklung. Heft 2.2014.