Eine postkoloniale Analyse von Materialien der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in Deutschland
Grundlage der Analyse sind Materialien der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit aus Deutschland, die als gedruckte Methodenhefte, als Webseiten oder zum Herunterladen zugänglich sind und für NRO, Lehrer_innen und Multiplikator_innen als Anregungen für eigene Bildungsangebote genutzt werden. Aus einer überwältigenden Fülle wurden über hundert Materialien und Grundlagendokumente aus dem Zeitraum 2007-2012 ausgewählt und analysiert.
Unterrichtliche Relevanz
Die Bildungsmaterialien, die in den Feldern des „Globalen Lernens“ und der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ angeboten werden, sind schier unüberschaubar für Lehrkräfte. Oftmals erfolgt die Auswahl entsprechender Materialien nur nach Kriterien der Einsetzbarkeit entlang der je eigenen subjektiven Theorien von Lehren und Lernen. Die Analyse schärft den Blick für in Bildungsmaterialien verborgene stereotype Darstellungen, die Vorstellungen vom Anderen oder Fremden auf Seite der Schüler*innen erzeugen können, die von der Lehrkraft nicht intendiert sind. Entsprechend bildet die Analyse eine geeignete Grundlage für die Entwicklung des eigenen rassismuskritischen und postkolonialen Unterrichts.
Die Analyse liefert erste Erkenntnisse über dominante Erzählweisen und Leerstellen im entwicklungspolitischen Bildungsbereich und zeigt die Wichtigkeit einer postkolonialen Perspektive. Allerdings wird auch deutlich, dass eine weitere Verankerung und Auseinandersetzung innerhalb des Feldes notwendig ist und insbesondere eine Analyse institutioneller und politischer Rahmenbedingungen noch aussteht.
Bildung für nachhaltige Ungleichkeit?, S. 3
Zentrale Ergebnisse im Überblick
- Viele Materialien transportieren hegemoniale eurozentrische Geschichtsschreibung (und insbesondere geschichtliche Auslassungen), sowie hegemoniale Konzepte von Entwicklung, Kultur und reproduzieren rassitische Vorstellungen
- Die Verstrickung von Kolonialismus, Kapitalismus und Moderne wird i.d.R. nicht thematisiert.
- Viele Materialien denken die Welt weiterhin zweigeteilt: in Menschen und Gesellschaften, die ,entwickelt‘ werden müssen, und in Helfer*innen, Weltretter*innen und verantwortungsbewusste Weltbürger*innen.
- In manche Materialen wird postkoloniale Kritik entschärft aufgenommen, so dass die dominanten Erzählweisen nicht ins Wanken gebracht werden.
- Materialien werden einer inklusiven Pädagogik in der Migrationsgesellschaft nicht gerecht, vielmehr werden Ausschlüsse und Diskriminierungen erzeugt
Nicht alle potenziellen Teilnehmenden mit ihren unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen werden mitgedacht und angesprochen; es findet ein Lernen anhand und auf Kosten der ‚Anderen‘ statt; ‚nicht-Weiße‘ Teilnehmende werden nicht als vollwertige Bürger_innen der deutschen Gesellschaft angesehen; die ‚Anderen‘ werden als ‚Andere‘ markiert und so Grenzen zwischen ihnenund den ,echten‘ Deutschen gezogen. Sowohl in Bezug auf die deutsche Migrationsgesellschaft als auch im globalen Kontext werden gegenwärtige, historisch gewachsene Macht- und Herrschaftsverhältnisse nicht grundlegend infrage gestellt. Vielmehr trägt entwicklungspolitische Bildungsarbeit in ihrer aktuellen Ausrichtung zur Stabilisierung von Ungleichheitsverhältnissen auf sozialer, politischer und ökonomischer Ebene bei.
Bildung für nachhaltige Ungleichkeit?, S. 3
Chandra-Milena Danielzik, Timo Kiesel, Daniel Bendix (2013). Bildung für nachhaltige Ungleichheit? Eine postkoloniale Analyse von Materialien der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in Deutschland. Glokal e.V.
Text: Stefan Applis (2022) unter engem Bezug auf Chandra-Milena Danielzik, Timo Kiesel, Daniel Bendix (2013). Bildung für nachhaltige Ungleichheit? Eine postkoloniale Analyse von Materialien der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in Deutschland. Glokal e.V.