Ein Beitrag von Marie Ulrich-Riedhammer

Nachfragen im Geographieunterricht

Aussagen wie „das ist ungerecht“, „die sind schuld“, „das ist unmoralisch“ tauchen im Geographieunterricht immer wieder auf, wenn bestimmte geographische Themen diskutiert werden. Gleichzeitig wird bereits seit langer Zeit gefordert, ethisches Urteilen im Geographieunterricht zu stärken. Urteilen setzt aber bereits beim Erkennen und Wahrnehmen eines Urteils, das sich auf eine ethische Frage bezieht, ein. Hier liegt die Chance für den Geographieunterricht, ethisches Urteilen zu fördern, ohne den Unterricht zu überfordern. Mit der Herangehensweise des punktuellen Nachfragens soll eine Form gefunden werden, die nicht nach ethischem Wissen fragt oder bestimmte Methoden in den Vordergrund stellt, sondern niederschwellig an ethisches Nachfragen heranführt, indem im laufenden Unterrichtsgespräch die „ethische Brille“ für einen Moment aufgesetzt und nachgefragt wird, welche ethische Frage beispielsweise hinter einer Aussage wie „das ist aber unmoralisch“ steht.

Man sieht an dem Beispiel einer Schülerdiskussion über den Einkauf fair gehandelter Kleidung zum einen, wie um die Frage der Schuld und Verantwortung gekreist (= rot markiert) wird, und zum anderen, wie nach Kriterien (= grün markiert) gesucht wird, ohne dass dies als Solches expliziert werden.

Fragen entdecken – ein kurzes Beispiel

Das Wahrnehmen der ethischen Fragen hinter den geäußerten Urteilen gilt als erste Phase des Urteilens, auf der ein besonderes Augenmerk liegen sollte. Dies ist etwa in einigen Kompetenzmodellen aus der Biologiedidaktik zu sehen sowie in vielen Urteilsschemata. Wie das im Unterricht funktionieren kann, soll an einem konkreten Beispiel gezeigt werden, das sich auf den Ausschnitt oben bezieht. Eine semantische Frage kann als Hilfestellung für das Finden der ethischen Fragen hinzugenommen werden.

Im Geographieunterricht kann das Erkennen bzw. Wahrnehmen der ethischen Fragen als eine Art Ritual eingeübt werden, indem je nach Jahrgangsstufe z.B. in einer Diskussion eine tatsächliche Brille hervorgeholt wird oder ein Schild hochgehalten wird, auf dem „Stopp-Urteil!“ steht. Dies kann sowohl von Seiten der Schüler*innen als auch der Lehrer*innen erfolgen. Wichtig ist das Nachfragen auch bei Pro- und Kontra – Argumentationen.

Mögliche Fragen

Ethische Fragestellungen zu erkennen und zu formulieren ist gerade am Anfang nicht einfach. Leichter geht es, wenn man ein gewisses Repertoire an Fragen vor Augen hat, das nach und nach erweitert werden kann. Dazu ein paar Beispielfragen:

Zum einen kommen Begriffe wie „Verantwortung“, „Gerechtigkeit“, „Wahrheit“ und Handlungsaspekte (Bewertung der Aspekte „guter Wille“, „Mittel“, „Folgen“) in immer neuen Variationen von Fragen vor, zum anderen tauchen Fragen auf, die sich auf bereichsethische Problematiken (Tierethik, Umweltethik) beziehen. Auch unterscheiden sich die Fragen dahingehend, ob sie konkreter (z.B. Handeln des Unternehmens) oder abstrakter (z.B. Handeln an sich) gestellt sind. Wichtig erscheint es, diese Fragen aus dem Unterrichtsgespräch erwachsen zu lassen, die ethischen Fragestellungen im Geographieunterricht nicht von oben aufzudrücken und diese Fragenstellungen erkennen zu lernen.

Ausblick – Kriterien hinterfragen

Wahrnehmen und Formulieren der ethischen Fragestellung(en) können als erste Reflexion des eigenen Urteils gesehen werden. Erst im nächsten Schritt ist ein Hinterfragen der Kriterien wichtig: die Frage nach dem „Warum oder inwiefern tragen wir tatsächlich Verantwortung?“.

Anne Burkard zeigt in Bezug auf das Thema „Klimaveränderung“, wie Kriterien aussehen können, und dass sie nicht im Bereich einer individuellen Meinungsbegründung liegen.

Text: Eva Marie Ulrich-Riedhammer (2020)

Abbildungen: Eva Marie Ulrich-Riedhammer (2020)

Literaturhinweise

Ulrich-Riedhammer, E.M. (2017). Ethisches Urteilen im Geographieunterricht. Theoretische Reflexionen und empirisch-rekonstruktive Unterrichtsbetrachtung zum Thema „Globalisierung“. (= Geographiedidaktische Forschungen, Bd. 68). Weingarten: Hochschulverband für Geographie und ihre Didaktik (Selbstverlag).

Ulrich-Riedhammer, E.M. (2018). Die ethische Brille aufsetzen – zur Frage der Förderung ethischen Urteilens im Geographieunterricht. ZGD 46/4, 7-32.