Gut informiert, weniger engagiert – PISA-Studie befragt Jugendliche zu globalen und interkulturellen Themen
Jugendliche in Deutschland fühlen sich gut über globale Fragen wie Armut und Klimawandel informiert, trauen sich Beurteilungen zu diesen Themen zu und bekunden Respekt gegenüber Menschen aus anderen Kulturen. Andererseits zeigen sie wenig Interesse, etwas über andere Kulturen zu lernen, denken nicht, dass sie viel an globalen Problemen ändern können und engagieren sich diesbezüglich weniger als Jugendliche in anderen Staaten. Dies zeigt die Zusatzbefragung „Global Competence“ der jüngsten PISA-Studie.
Mirjam Weis, Kristina Reiss, Julia Mang, Anja Schiepe-Tiska, Jennifer Diedrich, Nina Roczen, Nina Jude (2020): Wissenschaft macht Schule. Global Competence in PISA 2018. Einstellungen von Fünfzehnjährigen in Deutschland zu globalen und interkulturellen Themen. Waxmann.
Handlungsfähigkeit wird gering eingeschätzt
Im Gegensatz zu ihren Altergenoss*innen aus den anderen untersuchten OECD-Staaten fühlen sich die Jugendlichen in Deutschland etwas besser über global wichtige Themen informiert als der Durchschnitt der 15-Jährigen und schätzen ihre Fähigkeiten, Aufgaben zu diesen Themen zu lösen deutlich höher ein. Sie trauten sich z. B. deutlich mehr zu zu erklären, warum manche Länder mehr unter dem Klimawandel leiden als andere. Erfreulich ist auch, dass der Respekt für Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund überdurchschnittlich hoch ist. Das Bewusstsein von deutschen Jugendlichen dafür, dass interkulturelle Kommunikation eine besondere Herausforderung darstellt, ist im internationalen Vergleich allerdings durchschnittlich.
Dagegen haben die Schülerinnen und Schüler in Deutschland ein deutlich geringeres Interesse, etwas über andere Kulturen zu lernen, als die Jugendlichen im OECD-Durchschnitt und schätzen ihre Handlungsfähigkeit bezogen auf globale Themen auch begrenzter ein. Ebenso ist ihre Bereitschaft, sich für globale Ziele zu engagieren etwas schwächer ausgeprägt.





Auswahl an Grafiken zu Jugendlichen aus Deutschland im internationalen Vergleich aus dem Bericht Global Competence in PISA 2018 mit dem Fokus auf Deuschland
Wissen wird wenig in Handlung umgesetzt
„Es ist wichtig, dass Schülerinnen und Schüler sich in einer zunehmend vernetzten und durch kulturelle Diversität gekennzeichneten Welt zurechtfinden“, sagt Prof. Kristina Reiss vom Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM), die den deutschen Teil der PISA-Studie leitet. „Das gelingt den Jugendlichen in Deutschland gut. Wir stellen aber auch fest, dass sie ihr Wissen und ihre Einstellungen noch wenig in Handlungen umsetzen.“
Vermutlich fällt ein hohes Bewusstein für die Komplexität internationaler Herausforderungen auch mit einem geringeren Zutrauen zusammen, dass man diese bewältigen könne.
Größeres Interesse der Mädchen an anderen Kulturen
Mädchen zeigten im Vergleich ein größeres Interesse, etwas über andere Kulturen zu lernen. Ein weiterer Unterschied ließ sich zwischen Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund im Vergleich zu denjenigen ohne Zuwanderungshintergrund feststellen: „Erstere schätzen das Klima an den Schulen in Deutschland als diskriminierender ein als letztere. Dies ist beispielsweise ist Großbritannien anders, wo es diesen Unterschied nicht gibt, obwohl der Anteil der Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund vergleichbar ist.“ Schüler*innen aus Familien mit hohem sozioökonomischen Status haben in Deutschland eine positivere Einstellung zu gleichen Rechten für Zuwanderinnen und Zuwanderern, diese liegt deutlich über dem OECD-Durchschnitt. Ebenfalls deutlicher ausgeprägt ist in Deutschland das größere Interesse der Mädchen an anderen Kulturen. Jungen hingegen trauen sich stärker zu, Aufgaben zu globalen Themen zu lösen, obwohl beide Geschlechter ihr Wissen genauso groß einschätzen.
Nur wenige Lehrkräfte sind interkulturell ausgebildet
„Die Lehramtsausbildung sollte interkulturelle Kompetenzen deutlich stärker berücksichtigen. […] Und sie sollte internationaler werden. In den meisten anderen Studienfächern ist ein Auslandsaufenthalt längst selbstverständlich. Es gibt keinen Grund, warum nicht auch künftige Lehrerinnen und Lehrer von Erfahrungen im Ausland profitieren sollten.“
Prof. Kristina Reiss, Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM)
Nur zehn Prozent der im Rahmen der Studie befragten Lehrer*innen in Deutschland konnten angeben, in interkultureller Kommunikation ausgebildet worden zu sein. Fast ebenso wenige sind informiert über spezielle Unterrichtsmethoden, mit denen sie kulturelle Unterschiede berücksichtigen können. Dieses Ergebnis ist an Gymnasien und nicht-gymnasialen Schulen ähnlich.
Text: Stefan Applis (2020) auf Grundlage der Pressemitteilung zur Studie und des Berichts Global Competence in PISA 2018 mit dem Fokus auf Deuschland
Bilder: Bericht Global Competence in PISA 2018 mit dem Fokus auf Deuschland