Gesellschaftliche Debatte um den Klimawandel
Im Umfeld der Demonstrationen von Fridays for Future zeigt sich eine gesellschaftliche Debatte um den Klimawandel, die nach dessen Folgen, möglichen Handlungsansätzen und möglichen ökonomischen und technologischen Alternativen fragt. Besonders deutlich wird an der Debatte die Bedeutung der ethischen Dimension der Auseinandersetzung.
Vor dem Hintergrund globaler gesellschaftlicher Veränderungen im Zusammenhang mit der Veränderung des Klimas nimmt die Bedeutung ethischer Fragestellungen auch innerhalb des Unterrichts stetig zu. Fragen zur Bewertung der Bedeutung natürlicher Phänomene, gesellschaftlicher Zusammenhänge, Fragen nach gerechten Verteilung von Ressourcen und Lasten aber auch nach der Bedeutung des eigenen Handelns in globalen Zusammenhängen zeigen sich in vielen Feldern des Geographieunterrichts (BNE, globales Lernen, etc.). Gerade im Zusammenhang mit der Debatte um den Klimawandel wird dabei häufig auf die Verantwortung eines jeden Einzelnen verwiesen. Die Frage nach unserer Verantwortung anderen Menschen auch zukünftiger Generationen gegenüber ist für unser Nachdenken über unseren Umgang mit der Welt zentral. Lange bevor Verantwortung zu einem Schlüsselbegriff im Zusammenhang mit dem Klimawandel avancierte, der auch in der Öffentlichkeit hohe Relevanz besitzt, stellte Hans Jonas Verantwortung ins Zentrum seines Denkens.
Hans Jonas 1979 veröffentlichtes Werk „Das Prinzip Verantwortung“ kann ohne Einschränkung als Klassiker der Umweltethik gelten. Es ist bis heute aktuell und nimmt zentrale Aspekte der heutigen Debatte vorweg. Seine Aktualität zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Robert Habeck das Nachwort der Auflage von 2020 verfasst hat. Die ausformulierten Gedanken von Hans Jonas zielen auf den Zusammenhang von Technik, Fortschritt und Verantwortung, wie bereits der Untertitel „Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“ herausstellt. Dabei wird gleichsam unsere Verantwortung anderen Menschen und der Umwelt gegenüber betrachtet und die Frage nach der Verantwortbarkeit von Wissenschaft und technischen Entwicklungen gestellt.
Jonas legt einen verantwortungsethischen Ansatz dar, der danach fragt, wer wem zur Verantwortung verpflichtet ist und der im Unterricht besonders auf drei Ebenen Zugänge zur Frage nach unserer Verantwortung eröffnen kann:
Der ökologische Imperativ (theoretische Ebene)
Der ökologische Imperativ als Re-Formulierung des kategorischen Imperativ bei Kant stellt eine klassische prinzipienethische Position dar. Er kann als Orientierungsrahmen für Handlungen oder Entscheidungen gelten. Im Zentrum dieses Imperativ steht für Hans Jonas die Werthaftigkeit des Lebens an sich. Entscheidend dabei ist allerdings, dass sie sich auch auf zukünftiges Leben bezieht, also explizit die Folgen von Handlungen für zukünftiges Leben in den Blick nimmt.
„Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden. Oder negativ ausgedrückt: Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens.“
Jonas 1984, 36
Im Unterricht bietet sich der ökologische Imperativ sowohl an, um einzelne Handlungen zu beurteilen, theoretische Implikationen ethischer Imperative zu thematisieren, als auch die Frage nach der Bedeutung der Permanenz des Lebens als Maxime näher zu betrachten. Hierbei kann etwa die Gefahr einer naturalistischen Verkürzung diskutiert werden, denn gerade als Telos einer Bildung für nachhaltige Entwicklung ist der Begriff der Nachhaltigkeit dahingehend kritisch zu reflektieren.
Räumliche und zeitliche Dimensionen unserer Verantwortung (praktische Ebene)
Viele Argumente in der Debatte um den Klimawandel beziehen sich auf globale Folgen von getätigten oder unterlassenen Handlungen, die erst Jahrzehnte später wirksam werden. Damit muss auch die Frage nach den räumlichen und zeitlichen Bezügen unserer Verantwortung berücksichtigt werden. Wie bereits im ökologischen Imperativ deutlich wird, stellt Jonas Bezüge zu zukünftigen Generationen und zur Permanenz des Lebens her. Solche Bezüge werden auch in der heutigen Klimadebatte immer wieder erkennbar. Im Unterricht kann die Thematik beispielsweise über eine systematische Reflexion von Reichweiten unserer Verantwortung besprochen werden

Heuristik der Furcht (strategisch-praktische Ebene)
Eine große Herausforderung für verantwortungsvolle Entscheidungen gerade im Zusammenhang mit dem Klimawandel stellen unsichere oder unvollständige Informationen sowie der Umgang mit Risiken und komplexen Szenarien dar.
Der Umgang mit unsicheren und unvollständigen Informationen kann als ein zentraler Aspekt einer Bildung für nachhaltige Entwicklung und eine politische Mündigkeit gelten. Wie Hans Jonas betont, wissen wir selten alles über die Nah- und noch weniger über die Fernwirkungen unserer Entscheidungen. Geographieunterricht muss Möglichkeiten aufzeigen und zur Diskussion stellen, wie wir mit solchen Unsicherheiten unscharfer Szenarien und mangelnder Informationen umgehen können, die für ethische Beurteilungen und die Übernahme von Verantwortung relevant sind.
Hans Jonas formuliert eine Ethik des Umgangs mit solchen Unsicherheiten, die als „Heuristik der Furcht“ (Jonas 1984, 63) bezeichnet wird. In seiner Perspektive sollen Wirkungen erforscht werden und verantwortliche Entscheidungen im Zweifel von der schlechtesten Entwicklung ausgehen und Handlungen eher unterlassen (Jonas 1984, 390ff). Diese Idee von Hans Jonas kann im Unterricht als Ausgangspunkt für die Reflexion verschiedener klimarelevanter Handlungsstrategien dienen und Orientierung für den eigenen Umgang geben.
Weiterführende Informationen
Suhrkamp Diskurs mit Robert Habeck: https://www.suhrkamp.de/mediathek/robert_habeck_und_das_prinzip_verantwortung_diskurs_9_1658.html
Infomationsseite zu Hans Jonas mit Audio-Datei beim SWR: https://www.swr.de/swr2/wissen/hans-jonas-und-die-ethik-der-verantwortungswr2-wissen-2020-02-28-100.html
Website der Hans-Jonas-Gesellschaft: http://hansjonas.de/
Website der Hans-Jonas-Zentrum Siegen: https://www.hans-jonas-zentrum.de/
Literatur
Jonas, Hans (1984): Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik der technologischen Zivilisation. Frankfurt.
Laub, Jochen (2019): Fridays For Future. Ökologische Argumentationen ethisch beurteilen und bewerten. Praxis Geographie 10 (2019). https://www.westermann.de/anlage/4617730/Fridays-For-Future-Oekologische-Argumentationen-ethisch-beurteilen-und-bewerten
Nielsen-Sikora, J. (2003): Zukunftsverantwortliche Bildung. Bausteine einer dialogisch-sinnkritischen Pädagogik. Würzburg.
Autor: Jochen Laub