Das Konzept des ‚Imageneerings‘ von Jörg Metelmann

Der Kultur- und Medienwissen­­­­schaftler Jörg Metelmann von der Universität St. Gallen stellt der SRF-Gesprächsreihe Sternstunde Philosophie aus dem März 2021 sein Konzept des ›Imagineerings vor, einer Begriffsneuschöpfung, die auch den Titel eines von Metelmann mit Harald Welzer, einem Kollegen aus der Zukunfts- und Transformationsforschung, herausgegebenen Sammelbandes darstellt: Imagineering. Wie Zukunft gemacht wird (2020).

Während Maja Göpel in derselben Sendung (vgl. Blogbeitrag von Florian Wobser zu M. Göpel Unsere Welt neu denken. Eine Einladung (2020)) Inhalte ihres Buches referiert, aber auch weitere Kontexte zu diesen Inhalten ergänzt, erläutert Metelmann überwiegend Thesen aus diesem jüngsten Sammelband, mittels derer er das neuartige transformatorische Konzept eines ›Imagineerings‹ der Öffentlichkeit überhaupt bekannt machen möchte. Während sich das kritische Publikum hinsichtlich des Buches von Göpel – wie immer in klimaethischen Zusammenhängen – je nach Gusto fragen dürfte, ob ihr Ansatz zu radikal oder aber nicht radikal genug ist[1], stellt sich bezüglich Metelmanns Artikulationen die Frage, ob das zweifelsfrei innovative Konzept tatsächlich einen umweltethischen Kern haben kann, oder aber ob es Spielerei bleibt.

Metelmanns Ideen sollen im Folgenden dargestellt werden, wobei erstens Momente des SRF-Gesprächs, zweitens weitere Aspekte des Artikels Metelmanns in dem Sammelband, drittens zusätzliche Beiträge aus letzterem kurz vorgestellt werden und viertens ein didaktisches Fazit formuliert werden soll.

Bereits Göpel gibt die entschiedene Auskunft, dass eine „neue Realität“ bzw. „wünschenswerte Zukunft“ sich nur dadurch konstituiere, wenn Menschen bei deren Mitgestaltung das „Adaptive, das Kreative und das Kollaborative“ (0:17:30-0:18:41) miteinander verbinden. Metelmann spricht nicht nur über sein vergleichbares Anliegen, sondern führt es ansatzweise performativ vor.

Er stellt sich nicht nur direkt in die Tradition der Umweltbewegung, indem er seine Erstausgabe der Grenzen des Wachstums (1972) in die Kamera hält (Abb. 2) und den darin verkündeten Befund mit seinem Geburtsjahr in Beziehung setzt, sondern er stellt zudem ein Werk des Künstlers Stefan Frankenberger vor. Dessen metropa-Netz (Abb. 3[2]) zeigt die simulierte und stilisierte U-Bahn-Karte der Metropolregion Europa inklusive einiger Stationen auf angrenzenden Kontinenten. Damit zeigt Metelmann der Moderatorin und dem Publikum zwei Artefakte, die nicht nur einfach die Idee des ›Imagineerings‹ repräsentieren, sondern es nach Metelmann vollziehen. Dieses metropa-Netz stehe auch für den „Gefühlsgroßraum Europa“ (0:45:20), der eine „poetische Kraft“ (0:45:48) impliziere und in Erinnerung an eine reguläre U-Bahn-Fahrt diese bei Betrachter*innen auch als „somatische Erfahrung“ (0:46:28) aktualisiere. Es ist nicht zuletzt ein Gedanken- und Wahrnehmungsexperiment: Wie wäre es, wenn man Europa so schnell durchqueren könnte; welch ein Gemeinschaftsgefühl ist mit dieser Phantasie verbunden, die gleichzeitig die Wichtigkeit einer vernetzten Reflexion deutlich macht? In der Überzeugung, dass Wissen für sich oder die Moral als solche längst nichts bewirken, setzt Metelmann konzeptionell auf „Ästhetik, Spiel, Experiment“ (ab 44:20), jedoch nicht als bloße Selbstzwecke, sondern als ökonomische und ökologische Alternative zur gegebenen Realpolitik, deren Ergebnisse zwar selbst langfristig „dystopisch“ (0:42:10) sein dürften, deren Vertreter*innen aber die möglichen Alternativen oft genug verneinten.

Abb. 1-4 Sprechen und Zeigen – ›Imagineering‹ mit Jörg Metelmann

In dieser SRF-Sendung legt Metelmann zu Beginn des Gesprächs jene konzeptionellen Karten auf den Tisch, die das Konzept des Sammelbandes mit Welzer anleiten. Die Publikation ist Zwischenergebnis der transformatorischen „Begriffspolitik“ (0:35:54), die er auch zukünftig weiter verfolgen und ausbauen möchte.[3] Diese diskursive Strategie soll vor allem praktische Konsequenzen haben, indem sie engagierten Menschen helfen soll, das Phantasma einer „guten Normalität“ (0:36:18) leichter zu überwinden und „zum Neuen [zu] kommen“ (0:36:02). An die Stelle einer „Verzichts-„ solle eine „Freiheit-zu-Erzählung“ treten (0:37:54), deren Verursachung und Wirkung zugleich die im Neologismus ›Imagineering‹ angedeutete Poetologie sei. Dies meine eine Weise der Gestaltung, die ermögliche und zeige, wie Zukunft gemacht wird. Für diese Lockerungsübung sind nach Metelmann fast alle Mittel erlaubt: ›Imagineering‹ wird ausgerechnet Walt Disney entwendet und einige Sprachspielereien – die in ihrer Summe zwischen Kitsch und Irritation schwanken – seien legitim, da sie das Denken, Fühlen und Handeln aus den alten Mustern befreien könnten.

Phantasie und technische Fähigkeiten sollten in neuen Konstellationen zu bislang unbekannten Prozessen und Ergebnissen führen. Ihre gemeinsame Poetologie der Transformation stellen Metelmann und Welzer im Sammelband einleitend vor, wobei sie sie ihre Art des Design Thinkings von rein ökonomischen Vereinnahmungen der Kreativität abgrenzen, die der befreundete Soziologe Andreas Reckwitz als neoliberale Erfindung der Kreativität (2012) entlarvt hat und die Metelmann in seinem Sammelband Der Kreativitätskomplex (2018) kritisch untersucht hat. Metelmann und Welzer balancieren dabei selbst konzeptionell und begrifflich auf der Grenze zum Marketing, analysieren die Gegenwart aber so rigoros kritisch, dass sich die Leser*innen tatsächlich nur einen durch Phantasie aktivierten Sprung aus derselben heraus wünschen können. Für dieses Außen wiederum werden schließlich acht knallharte Kriterien für ökonomische bzw. ökologische Vorgänge vorgestellt, die Metelmann in einem Zukunftslabor mit Student*innen erarbeitet hat und die sehr weitreichend sind. So sollen die Phantasie und technische Fähigkeiten im Zusammenspiel nicht nur ökonomisch attraktiv sein, sondern im Ergebnis auch u.a. die Reduktion des CO2-Ausstoßes garantieren und mit reduziertem Wachstum kompatibel sein. Ob dieser Sprung tatsächlich gelingt?

Unabhängig von der Antwort auf die Frage bleiben sich Metelmann und Welzer treu. Ihr Ansatz ist verspielt und konsequent – so versuchen sie performativ Impulse für neue Prozesse zu geben, die die Zukunft dringend nötig hat (und wahrscheinlich auch manch eine Bildungsinstitution wie u.a. die Universität St. Gallen, die für ihren Wirtschaftsschwerpunkt bekannt ist). Für zukünftige ›Imagineure‹ ist u.a. positiver Trotz erwünscht; möglicherweise verfügen auch die Erfinder des hier zur Diskussion stehenden Ansatzes über einen solchen. Der Fortgang und vor allem das Ende der Impulse für etwas Neues bleiben vorerst offen.

Im eigenen Beitrag verleiht Metelmann diesem Ansatz im oben skizzierten Sinne einen Rahmen, verstärkt sein Framing jedoch noch, indem er die eigene und eigensinnige Transformatik mit Hilfe Paul Klees als Prozess ästhetischer Bildung legitimiert, die zu einer besseren Erkenntnis führen könne und solle. Die Gesellschaft habe – als implizite Ergänzung oder Alternative zu etwa Habermas – eine deliberative Imagination dringend nötig, damit es gerade nicht einfach immer so weiter gehe. Damit Phantasie praktisch werde, sollten nicht allein ökologisch, sondern genauso ökonomisch attraktive Brücken geschlagen werden, nicht allein zur Informatik, sondern zum Ziel eines neuen gemeinsamen Terrestrischen (nach Bruno Latour), zu neuer Lesekompetenz, die latente Potenziale zum Transformieren erkenne und produktiv lassen würde bzw. die Menschen über die Gegenwart hinweg tragen könnten – und zwar sowohl zur Innovation eines Grundeinkommens in finanzieller als auch ästhetischer Hinsicht.

Nachdem der Aktionsforscher Björn Müller eine Art dritten poetologischen Weg zwischen einem Unternehmer- und Unterlassungstum vorgestellt hat, nämlich das Unternehmungstum und Welzer die Genese der eigenen Stiftung Futurzwei[4], die auch ein eigenes Magazin vertreibt, skizziert hat, werden durch die Autor*innen im zweiten Teil des Bandes vergleichsweise konkrete praktische Projekte vorgestellt. Diese reichen von alternativen ökonomischen Vorschlägen Jonas Görgens und Thomas Telios‘, die in ihrer finanzkapitalistischen Diagnose Joseph Vogl folgen und als Ziele u.a. ein deutlich regulierteres Bankenwesen und eine Orientierung der EU am Gedanken der Commons (bzw. der Allmende) vorschlagen, bis zu künstlerischen Performances wie der von Realities:united[5]. Das Künstlerduo ästhetisiert – bislang nur in der Phantasie – den Abschied von fossilen Energien, indem noch laufende bzw. bald abzustellende Kraftwerke so ausgerüstet werden bzw. würden, dass etwa ihr Schornstein oder ihr Kühlturm Dampfringe erzeugten (Abb. 5), die das gewöhnlich Unsichtbare mittels Verfremdung aus weiter Ferne sichtbar werden ließe. Hierdurch sollen Wahr-nehmungsweisen in einer öffentlich ritualisierten Weise im Sinne einer großtechnologische Abschieds-performance – so der Untertitel – verändert werden, um ein andere Denken zu evozieren.

Didaktisches Potential des Ansatzes

Einmal mehr unabhängig von der Frage, ob jene Brücken des Konzepts Metelmanns und Welzers tragen (oder aber ob sie nicht selbst unter jenem Kreativitätsdispositiv ächzen), halte ich ihren Ansatz grundsätzlich auch in didaktischer Hinsicht für attraktiv. Anders als das Buch von Göpel betrifft das ›Imagineering‹ nicht unmittelbar die Umwelt- oder Klimaethik, aber es versucht auch dazu notwendige Werkzeuge – Wahrnehmen, Sprache, Denken – auf der Grenze zwischen Design und Kunst bzw. Marketing und alternativer Ökonomie sowie philosophischen Phantasmen und praktischen Veränderungen neu zu sensibilisieren, um so einen Ermöglichungsraum zu eröffnen. Dies wirkt mitunter etwas gewollt, ist jedoch ganz bewusst nicht frei von Spielerei.

Das Spiel der Phantasie ist didaktisch immer relevant. Gerade in der Schule herrscht oft der Trott vor. Wer kennt nicht das Gefühl, vor der Klasse oder einem Kurs zu stehen, die/der in einer starren Tischordnung vor einem sitzt und starr leidet unter all den Informationen der Vorstunden und den kritischen Blicken aus den Perspektiven unterschiedlicher Fächer auf unsere Welt? Eine kleine Auflockerung im Sinne des ›Imagineerings‹ von Metelmann kann da nicht schaden, sei es, indem Lehrer*innen sich mit diesem Ansatz vertraut machen, sei es indem sie gezielt einzelne Auszüge jener recht komplizierten Texte oder insbesondere das anschauliche Material als Unterrichtsmedien nutzen.

Abb. 5›Imagineerings‹: Entwurf für Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen (Architekt B. Ingels in Kooperation mit realities:united).

Text: Florian Wobser (2021)

Bild: Pixabay


[1] So wird in der insgesamt wohlwollenden FAZ-Rezension eigens darauf hingewiesen, dass Göpel mit ihrem Ansatz keine überzeugten Wirtschaftsliberalen erreichen wird; in der TAZ-Rezension Am Rande des Kollapses wird wiederum der Akzent auf Göpels kapitalismuskritische Ansätze der Umverteilung gelegt.

[2] Vgl. auch https://www.sueddeutsche.de/kultur/metropa-projekt-streckennetz-der-hoffnung-1.4834442

[3] Vgl. etwa Metelmanns noch im Aufbau befindliche Website transformatik.de.

[4] Vgl. https://futurzwei.org/

[5] Vgl. https://berlinischegalerie.de/assets/downloads/presse/Pressetexte/Pressearchiv/2019/Pressemappe_realities-united_26.4.19_Berlinische-Galerie.pdf

[6] Vgl. https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/umwelt/extra-turm-dampfringe-zeigen-am-himmel-co2-belastung-an/