Bedeutung des Hochwasserschutzes in den Niederlanden
Für die Niederländer*innen ist Wasser seit jeher allgegenwärtig. Es bedeckt rund ein Fünftel der Fläche des Landes. Ca. ein Viertel der Landesfläche – auf der mehr als 60 % der Bevölkerung leben – liegt unter dem Meeresspiegel. Damit diese Teile des Landes nicht überflutet werden, schützen sich die Niederländer*innen seit Jahrhunderten vor den Fluten, sei es durch das Auftürmen von Deichen oder das Abpumpen von Wasser zurück ins Meer mittels Windmühlen bzw. später Pumpanlagen (Oberhuber 2013). Als Konsequenz der großen Sturmflut im Jahr 1953, bei der fast 2000 Menschen ertranken, wurden Sturmflutwehre und Dämme beeindruckender Dimensionen, die sogenannten Deltawerke, errichtet (Handelsblatt 2013).
Erfordernis innovativer Maßnahmen in Zeiten des Klimawandels
»Wir haben keine Wahl, sonst kriegen wir nasse Füße.«
Roeland Hillen, Direktor des niederländischen Flutprogramms im Ministerium für Wasserwirtschaft (Birschel 2014)
Der Klimawandel stellt die Nation vor immer größere Herausforderungen. Das Steigen des Meeresspiegels der Nordsee um geschätzte ein bis vier Meter in den nächsten 100 Jahren, die Zunahme von Superstürmen und ein verstärktes Übertreten der Flüsse über die Ufer führen dazu, dass die bisherigen Schutzmaßnahmen nicht mehr genügen. Ein weiteres Bauen bzw. Erhöhen von Deichen wird als wenig sinnvoll angesehen, da eine Verstärkung von Deichen zu einem Verlust von kostbarem Hinterland führt, äußerst kostspielig ist und in Anbetracht des immer weiter steigenden Meeresspiegels zudem ein ›Fass ohne Boden‹ darstellt (Birschel 2014). Auch das Abpumpen des Wassers ist nicht mehr ausreichend (Handelsblatt 2013).
»[W]ir müssen radikal umdenken. Wir dürfen das Wasser nicht länger als Gefahr sehen, sondern als Chance, als Herausforderung.«
Pavel Kabat, Klimaforscher der Universität Wageningen (Schweighöfer 2014)
In den letzten Jahren wurden in den Niederlanden daher zahlreiche innovative Maßnahmen im Bereich des Hochwasserschutzes entwickelt, wofür von der niederländischen Regierung jährlich rund eine Milliarde Euro investiert wird (Handelsblatt 2017). Bemerkenswert sind die Bemühungen, neben dem bloßen Schutz vor dem Wasser ein ›Leven met water‹ anzustreben, d. h. sich die Chancen, die das Wasser bietet, nutzbar zu machen (Schweighöfer 2014). Die ergriffenen Maßnahmen sind vielfältig:
- Dem Wasser wird mehr Raum gegeben. Es erfolgt eine Flutung von Poldern, ein Anlegen von Auffangbecken und ein Ausgraben zugeschütteter Grachten. An den Flüssen werden vielerorts Nebenrinnen angelegt, die Flussbetten werden vertieft, Deiche zurückversetzt und Auen verbreitert (Schweighöfer 2014).
- Das Volumen von Stränden und Dünen wird erhöht (Cobben 2017). So wurde beispielsweise zwischen Petten und Egmond (vgl. auch Ansicht bei Google Earth) ein acht Kilometer langer und 200 Meter breiter Sandstrand angelegt, indem einige Kilometer vor der Küste Sand von Schiffen aus der Tiefe geholt und beim Deich unter Wasser gespritzt wurde. Der Sand wurde platt gewalzt respektive als Dünen zu Hügeln aufgeschüttet und mit Strandhafer bepflanzt. Auf diese Weise gelang es, einen natürlichen Schutzwall gegen die Wassermassen zu errichten, sodass deren Kraft bereits vor der Küste gebrochen wird. Die touristische Anziehungskraft des neu gewonnenen Strandes stellt einen positiven Nebeneffekt der Schutzmaßnahme dar (Birschel 2014).
- Innovative Flutschutztechnologien kommen zum Einsatz. So wurde in Spakenburg die längste flexible Flutbarriere der Welt errichtet, deren Besonderheit darin liegt, nur bei Bedarf zum Einsatz zu kommen. Um das Hafenbecken Spakenburgs wurden auf einer Länge von 300 Metern 12 Zentimeter breite Kunststoffschotten in die Straße eingelassen, die sich bei Hochwasser durch die Wassermassen heben und dann eine bis zu 80 Zentimeter hohe Barriere formen (Schweighöfer 2017). Neben ihrer Funktion als Flutschutzmaßnahme zeigt die Barriere auf, wie Flutschutz stadtplanerisch im Einklang mit den Interessen der Einheimischen und Tourist*innen umgesetzt werden kann (Handelsblatt 2017).
- Sogenannte ›Waterwoningen‹, schwimmende Häuser, haben an Bedeutung gewonnen. Sie stehen auf mit Styropor gefüllten Betonwannen und sind mit Ringen an Pfählen befestigt, die ein Abtreiben verhindern, eine Bewegung nach oben und unten jedoch zulassen. So können sie sich dem steigenden Meeresspiegel anpassen (Schweighöfer 2014). Gleichzeitig werden neue Flächen für das Wohnen geschaffen, die in den dicht besiedelten Niederlanden knapp sind (Oberhuber 2013).
Internationaler Erfolg der niederländischen Expertise
Die Kreativität und technische Expertise der Niederländer*innen in Bezug auf den Hochwasserschutz sind in Zeiten des Klimawandels weltweit gefragt (Schweighöfer 2017). So wird beispielsweise die Technik der flexiblen Flutbarriere Spakenburgs inzwischen auch in China, Vietnam und England genutzt. Exporte im Bereich der Hochwasserschutztechnik sind so für die Niederländer*innen zu einem lukrativen Geschäft geworden, das ihnen pro Jahr acht Milliarden Euro einbringt (Handelsblatt 2017).
Weiterführende Links
Autorin: Julia Althoff
Bild: Pixabay (2020)
Weitere Eindrücke zum niederländischen Hochwasserschutz gibt es z. B. in dieser Bildergalerie.
Ein Beitrag des SWR zum Thema ist unter dem Titel ›Deichen oder weichen? – Die Niederlande und das Wasser‹ hier zu finden.
Literatur
Birschel, A. (2014): Niederlande bauen Strände gegen den Klimawandel. https://
http://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article134190984/Niederlande-bauen-Straende-gegen-den-Klimawandel.html (02.12.2020).
Cobben, I. (2017): Hochwasserschutz in den Niederlanden: Ein Exportschlager. https://de.euronews.com/2017/07/28/hochwasserschutz-in-den-niederlanden-ein-exportschlager (02.12.2020).
Handelsblatt (2017): Klimawandel. Hochwasserschutz-Technik als niederländischer Exportschlager. https://www.handelsblatt.com/technik/forschung-innovation/klimawandel-hochwasserschutz-technik-als-niederlaendischer-exportschlager/20574806.html?ticket=ST-4139750-e1ceNVp5ur1eiPgsOvtw-ap6 (02.12.2020).
Handelsblatt (2013): Hochwasserschutz in Holland. Leben mit dem Wasser. https://
www.handelsblatt.com/technik/energie-umwelt/hochwasserschutz-in-holland-raum-fuer-den-fluss/8352266-2.html?ticket=ST-4185999-41TjP4hdeHWlGrmzBJQL-ap4 (02.12.2020).
Oberhuber, N. (2013): Schwimmende Holländer. https://www.faz.net/aktuell/stil/drinnen-draussen/bauen-auf-dem-wasser-schwimmende-hollaender-12635268.html (02.12.2020).
Schweighöfer, K. (2017): Hochwasserschutz und Klimawandel. Niederländische Kreativität im Kampf gegen die Fluten. https://www.deutschlandfunk.de/hochwasserschutz-und-klimawandel-niederlaendische.795.de.html?dram:article_id=400119 (02.12.2020).
Schweighöfer, K. (2014): Schwimmende Städte. https://www.dw.com/de/schwimmende-st%C3%A4dte/a-17528386 (02.12.2020).