Der Philosoph Ivo Wallimann-Helmer setzt sich in seinem Beitrag auf dem Philosophie-Blog prae | faktisch mit dem Zusammenhang von Klimawandel und Armut aus. Der vollständige Beitrag findet sich im neuen Handbuch Philosophie und Armut.
Wallimann-Helmer greift zu Beginn den auch von Christian Seidel und Dominic Roser herausgestellten Zusammenhang auf, dass der Klimawandel die armen und ärmsten Weltregionen und Bevölkerungsgruppen besonders hart treffe; dieser Zusammenhang stelle eine doppelte Ungerechtigkeit dar, denn
- die Armen sind besonders vulnerabel für Folgend des Klimawandels und
- sie tragen am wenigsten zur Verursachung des Klimawandels bei.
Die doppelte Benachteiligung der Armen
Sie tragen nicht nur am wenigsten zum Klimawandel bei, sondern sind häufig auch stärker von dessen Folgen betroffen. Auf globaler Ebene sind es vereinfacht gesprochen die Entwicklungsländer des Südens, die an dieser doppelten Ungerechtigkeit am stärksten leiden, während die entwickelten Industrienationen am meisten zum Klimawandel beitragen und beigetragen haben. Hieraus leiten sich die in der internationalen Klimapolitik bekannten historischen Klimapflichten der Industrieländer ab.
Ivo Wallimann-Helmer (2021), Klima und Armut

Ob sich jemand leichter oder schwerer den Belastungen des Klimawandels anpassen kann, liegt nicht zuletzt an den persönlichen Ressourcen und Möglichkeiten, von denen wiederum einige für sich selbst klimaintensiv sind. Gerecht sind Belastungen, meint Ivo Wallimann-Helmer also nur dann, wenn sie mehr Belastete und diejenigen, die weniger zum Klimawandel beitragen, weniger stark belasten.
Aus diesem Zusammenhnag resultiert der Vorschlag zur Einführung eines Lebensemissionsbudget für jede*n Einzelne*n: „Wer ein luxuriöseres und emissionsintensiveres Leben führt, wäre so gezwungen seine Emissionen stärker zu reduzieren. Ärmere hingegen müssten dies weniger tun, weil sie weniger Emissionen produzieren“ (Ivo Wallimann-Helmer, 2021). Entsprechend ist es auch weniger sinnvoll, Ländern pauschal eine historische Klimaschuld zuzuschreiben.
Armut und Klimamaßnahmen
Wallimann-Helmer hebt zwei Maßnahmenbereiche hervor, die besonders zur doppelten Benachteiligung von von Armut Betroffenen beitragen können:
a. Maßnahmen zur Reduktion des Treibstoffverbrauchs: Biokraftstoffherstellung kann zu einer Verteuerung von Lebensmittelpreisen beitragen
b. Maßnahmen zur technologischen Entfernung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre, d.h. kostenintensive Geoengineering-Maßnahmen dort, wo eine besondere Belastung durch Klimawandelauswirkungen besteht; „Maßnahmen, die auf Agrarland zum Binden von CO2 und zur Produktion von Energie setzen, führen zu teureren Nahrungsmittelpreisen. Da diese Technologien in den meisten Modellen in großem Maßstab angenommen werden, damit das Ziel des Pariser Abkommens eingehalten werden kann, ist diese Problematik eine Herausforderung in nicht allzu ferner Zukunft.“ (Ivo Wallimann-Helmer, 2021)
Armutsbekämpfung durch Klimaschutz
Die relevanteste Überlegung im Zusammenhang mit Klimaschutz und Armut besteht in der Unterscheidung zwischen Luxusemissionen und Subsistenzemissionen. Nur wer seine Subsistenz sichern kann, darf zu Klimaschutz verpflichtet werden.
Ivo Wallimann-Helmer (2021), Klima und Armut
Über das Konzept des globalen Emissionszertifikatenhandels kann dann Armt gelindert werden, wenn die Zertifikate entsprechend hochpreisig sind und Wohlstandsunterschiede realistisch abbilden; entsprechende Mehreinnahmen von Entwicklungsländern müssten in Bildung als Maßnahmen zur Armutsbekämpfung eingesetzt werden, mithin in das gesamte komplexe Bündel an Ursachen und Wirkungen, die Armut bedingen.

Text: Stefan Applis (2021) unter engem Bezug auf Ivo Wallimann-Helmer (2021), Klima und Armut
Bilder: prae|faktisch
Schematische Darstellungen: Heinrich-Böll-Stiftung & Oxfam E.V. Deutschland (Hrsg.) (2010). Klima schützen, Armut verhindern. Berlin.
Zum Autor:
Ivo Wallimann-Helmer ist seit 2018 Professor für Umweltgeisteswissenschaften an der Universität Fribourg und seit 2019 Direktor des Environmental Sciences and Humanities Institute (UniFR_ESH Institute). Die Kernbereiche seiner Arbeit untersuchen konzeptionelle und normative Fragen der Gerechtigkeit im Klima- und Umweltschutz, technologische Innovationen für nachhaltige Entwicklung und die gerechte Differenzierung von Verantwortlichkeiten in der Umweltpraxis und neuerdings auch in Ernährungssystemen.