Container-Räume, Kulturerdteile und der „Kampf der Kulturen“

Um die Welt zu ordnen, bezog und bezieht man sich häufig auf die Kategorie der Kultur. Eine solche Einteilung verspricht klare Übersichtlichkeit und war gerade in der Anfangszeit der akademischen Geographie, also im 19. und frühen 20. Jahrhundert, ein beliebtes kulturgeographisches Tätigkeitsfeld. In der sogenannten Geographie der Länderkunde betrachtete man Räume als Container, die es in ihren verschiedenen Cointainerinhalten genau zu beschreiben galt. Dabei ging man von einem Geodeterminismus aus, d.h. vorrangige Containerdimensionen bestimmen nachrangige Aspekte, etwa: Das Klima prägt die Vegetation, die Vegetation prägt wiederum den Menschen in seiner Siedlungsweise, aber auch in seiner Religion oder Kultur (zur länderkundlichen Raumlogik vgl. u.a. Wardenga 2002). Die Container-Vorstellung von Raum und Kultur findet sich auch in dem 1962 von Alfred Kolb entwickelten Modell der Kulturerdteile:

„Unter einem Kulturerdteil [wird] ein Raum subkontinentalen Ausmaßes verstanden, dessen Einheit auf dem individuellen Ursprung der Kultur, auf der besonderen einmaligen Verbindung der landschaftsgestaltenden Natur- und Kulturelemente, auf der eigenständigen, geistigen und gesellschaftlichen Ordnung und dem Zusammenhang des historischen Ablaufes beruht.“

(Kolb 1962, 46)
Kulturerdteile (Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/29/Kulturerdteile_1.jpg)

Von dieser Bestimmung ausgehend unterschied Kolb zehn Kulturerdteile, die in sich eigenständig seien. Auch wenn Kolb ebenso historische Veränderungen betonte, ging er von relativ stabil abgrenzbaren Einheiten aus.

Eine ähnliche Logik vertrat auch der US-amerikanische Politikberater Samuel P. Huntington (1996) in seinen Thesen vom „Kampf der Kulturen“. Auch er geht von verschiedenen abgrenzbaren Kulturräumen aus und betont deren Unterschiedlichkeit. Genau diese, so Huntington, könne schließlich auch zum „Clash“, zum Kampf zwischen den Kulturen führen.

Ein distinktes Konzept von Kulturen

Das diesem Denken zugrunde liegende Kulturkonzept weist folgende Eigenschaften auf:

  • Kulturen seien intern homogen: D.h. Mitglieder eines Kulturraums seien sich sehr ähnlich.
  • Kultur seien extern abgrenzbar. D.h. Mitglieder unterschiedlichen Kulturen seien per se verschieden,
  • Kulturen seien wesenhaft. D.h. es gebe einen quasi-natürlichen, unveränderlichen Wesenskern, der den Großraum und somit die Kultur prägt und resistent gegen Veränderung sei.

Kritik am Kulturraum-Konzept (I) – deskriptiv fragwürdig

Das Denken von klar abgrenzbaren kulturellen Identitäten trifft kaum die Realität des 21. Jahrhunderts und ist somit deskriptiv fragwürdig.

Gerade mit der Globalisierung ist die Welt denkbar stark miteinander verbunden und vernetzt. Lebensformen enden nicht an nationalen oder vermeintlichen kulturellen Grenzen. Die Lebensrealität eines japanischen Unternehmensberaters ist unter Umständen näher an der eines deutschen Unternehmensberaters als an der eines japanischen Kleinbauern.

Dazu kommt, dass Elemente bestimmter, vormals vielleicht schematisch abgrenzbarer Kulturen zu Elementen anderer Kontexte geworden sind. Diese gilt für Menschen, Waren, Informationen und Ideen auf der ganzen Welt. Lady Gaga hat Fans in Berlin, Peking und Rio. Man findet in München zahlreiche Möglichkeiten, einen Termin für eine Akupunktur-, Quigong- oder Ayurvedatherapie zu buchen, während man in Shanghai, Delhi oder Bangkok, der hier als „Schulmedizin“ bezeichneten Behandlung nachgehen könnte. Damit ist in keinem Falle gesagt, dass heute die Lebenswelten aller Menschen gleich geworden seien, sondern dass eine Unterscheidung von Identitäten entlang kultureller Großkategorien wissenschaftlich kaum adäquat oder gar trennscharf beschrieben werden kann.

Kritik am Kulturraum-Konzept (II) – ethisch bedenklich

Auch normativ ist das Kulturraum-Konzept nicht unproblematisch. Mit der Unterscheidung von kulturellen Identitäten geht die Unterscheidung von Wir und Die, von Eigenem und Fremden, einher. Per se scheint eine solche Unterscheidung normativ neutral. Sie wird allerdings dann ethisch problematisch, wenn sie von bestimmten Abwertungstendenzen begleitet ist. Dies verläuft in einem bestimmten Muster.

  • Unterscheidung von Wir/Die: „Es gibt unsere Kultur und es gibt die Kultur von denen.“
  • Homogenisierung: „Wir hier in unserer Kultur sind alle sehr ähnlich.“
  • Polarisierung: „Die da sind alle ganz anders“
  • Hierarchisierung: „Wir sind die besseren, die sind die schlechteren.“

Das Denken in kulturellen Großidentitäten, welches einen Menschen umfangreich mit „seiner“ Kultur bzw. Herkunft gleichsetzt, läuft Gefahr Vorurteile zu befördern und ein gelingendes Miteinander zu erschweren.

Unterrichtliche Sensibilisierungen

Im Sinne einer inter- und transkulturellen Bildung geht es um einen reflektierten Umgang mit Kategorien wie der des Kulturraums.  Helfen können dabei folgende Herangehensweisen:

a) Die Beobachtung zweiter Ordnung

Die Beobachtung „einer Kultur“ oder „eines Kulturraums“ wird ersetzt oder ergänzt durch die sogenannte Beobachtung zweiter Ordnung. Damit ist in den Kultur-/Sozialwissenschaften die Beobachtung von Beobachtung gemeint. Folglich geht es weniger um Fragen wie „Was macht diese oder jene Kultur aus?“, sondern vielmehr um Fragen wie: „(Wie und warum) Werden kulturelle Gruppen als „fremd“ und „eigen“ konstruiert?“ oder „Welche normativen Implikationen (Auf-/ Abwertungsprozesse) spielen dabei eine Rolle?“.  Sogar der neue Lehrplan für Bayerische Gymnasien geht in diese Richtung, wenn er folgende Kompetenzerwartung formuliert: (Hyperlink: https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/gymnasium/10/geographie) „Die Schülerinnen und Schüler setzen sich kritisch mit dem Begriff des Orient auseinander.“ 

b) Unterschiede in „den Kulturräumen“, Gemeinsamkeiten zwischen „den Kulturräumen“

Um Pauschalisierungen zu durchbrechen, ist es wichtig, zu zeigen, dass „eine Kultur“ oder „ein Kulturraum“ in sich sehr heterogen ist. Dies erreicht man dadurch, dass man die Vielfalt innerhalb eines vermeintlich einheitlichen Kulturkreises thematisiert. Außerdem gilt es Polarisierungen kritisch zu hinterfragen, indem man auf Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Lebenswelten hinweist. Das Leben eines 12-jährigen Schulkindes in Tunesien ist sicherlich anders als das seines Altersgenossen in Deutschland. Aber beide haben genauso sicher Gemeinsamkeiten…

Das Ziel einer inter- und transkulturellen Bildung ist es nicht, über Unterschiedlichkeiten hinwegzuwischen, sondern vielmehr Menschen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten in einem gelingenden Miteinander zu unterstützen.

Text: Christoph Baumann (2022)

Bild: Wikimedia Commons, https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturerdteil

Verwendete Literatur

Samuel P. Huntington (1996): Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Europa-Verlag, München/Wien.

Alfred Kolb (1962): Die Geographie und die Kulturerdteile. In: Adolf Leidlmair (Hrsg.): Hermann von Wissman-Festschrift. Tübingen. S.42-49.

Ute Wardenga (2002): Räume der Geographie – zu Raumbegriffen im Geographieunterricht.