Familie Reiselustig plant einen Ausflug nach Paris (für die Nach-Pandemie-Zeit)
Der folgenden Unterrichtsvorschlag zur Einführung in ein Modell der Entscheidungsfindung thematisiert Flugreisen und deren ökologische Konsequenzen. Um eine (moralisch) gute Entscheidung treffen zu können, muss zunächst die Bewertung und Beurteilung der verschiedenen Handlungsalternativen vorangestellt sein. Zwar werden im Alltag vielfältige Entscheidungssituationen intuitiv entschieden, da das menschliche Handeln in der Regel von vielerlei Vorstellungen, Erfahrungen und Assoziationen beeinflusst wird. Dennoch sollte diesem intuitiven Bewerten, welches durchaus seine Berechtigung hat (vgl. Dittmer/Gebhard 2012), ein rationales Entscheidungssystem an die Seite gestellt werden, um die Schüler in reflektierten Handlungsweisen zu bestärken. Für die Förderung verantwortlichen, nachhaltigen Handelns bedarf es also zunächst einer reflektierten Entscheidung, die auf Bewertungskompetenzen zurückgreifen muss.
Die Stunde wird von einem fiktionalen Setting gerahmt. In diesem möchte die als Cartoon-Figuren dargestellte Familie Reiselustig entscheiden, mit welchem Verkehrsmittel sie ihren Urlaubsort Paris erreichen soll.

Der Stundenverlauf ist stark geleitet, da gemeinsam mit der Lerngruppe ein Prozess der Entscheidungsfindung nach einem festen Modell durchlaufen werden soll. Das Durchlaufen des Prozesses wird durch ein Arbeitsblatt gestützt, in dem die gemeinsamen Überlegungen von jeder*m Schüler*in für sich festgehalten werden und jede*r seine je eigene Entscheidung durchführt und das Ergebnis berechnet. Im Folgenden kann das Unterrichtsmaterial heruntergeladen werden; im Anschluss daran finden eine die didaktisch-methodischen Reflexion, die zugleich eine Einführung in Überlegungen zur Entscheidungsfindung aus der Biologiedidaktik darstellt; hierzu wird auf die Literaturangaben verwiesen, die alle im beitrag reflektierten biologiedidaktischen Beiträge zur weiterführenden Lektüre verlinken. Vertiefende Anmerkungen zur Stundendurchführung finden sich für die*den interessierte*n Leser*in am Ende des Blogbeitrages.
Bewertungskompetenz und doppelte Komplexität
Für eine umweltbezogene Bewertung der Auswirkungen von Flugreisen ist eine ökologische Bewertungskompetenz erforderlich, die laut Bögeholz et al. „(1) ökologisches Sachwissen, (2) Wissen um relevante Normen und Werte, (3) Unterscheidungsfähigkeit zwischen Fakten und Normen/Werten und (4) Bewertungsstrukturwissen“ (Eggert/Bögeholz 2006, S. 178ff.) erfordert. Bereits in der Gegenüberstellung der ersten beiden Aspekte wird ein Kerncharakteristikum von ethisch relevanten Entscheidungen deutlich: Die doppelte Komplexität. Einerseits erfordert systematische Entscheidungsfindung nämlich die Sachkompetenz, ausreichend über die Fakten- und Datenlage informiert zu sein, etwa über die tatsächlichen klimaschädlichen Auswirkungen verschiedener Verkehrsmittel. Andererseits verlangt eine moralisch gute Entscheidung auch nach ethischer Kompetenz, etwa zu Beurteilung dessen, wie bestimmte Kriterien gewichtet werden sollten (vgl. Bögeholz/Eggert 2005). Da eben jene umfassende Kompetenz also gleichermaßen im naturwissenschaftlichen wie auch im philosophischen Bereich nötig ist, spricht man von doppelter Komplexität. Während der dritte von Bögeholz et al. angeführte Aspekt erfordert, ebendiese beiden Ebenen differenzieren zu können, befasst sich das Bewertungsstrukturwissen als Teil der Bewertungskompetenz mit dem rein methodischen Strategiewissen, also konkreten Handlungsschritten auf dem Weg zur guten Entscheidung, wie sie im Unterricht vermittelt werden sollen.
Analog zur doppelten – faktischen und ethischen – Komplexität verfolgt auch die hier dargestellte Unterrichtsstunde zwei eng miteinander verflochtene, aber dennoch unterschiedliche Hauptlernziele. So soll den Schülern nicht nur faktisches Wissen darüber vermittelt werden, dass Flugreisen negative Auswirkungen auf Klima und Umwelt haben, sondern anhand dieses Inhalts sollen sie das methodische Können erwerben, ein Verfahren zur rationalen, systematischen Entscheidungsfindung anzuwenden. Wie bereits einführend erwähnt, lassen sich natürlich im Alltag auch intuitive Entscheidungen treffen, die grundsätzlich den rationalen nicht untergeordnet sind. „Aus bildungswissenschaftlicher und bildungspolitischer Sicht ist der Anspruch an Bewertungskompetenz aber, Schüler(*innen) zu systematischen und begründeten Entscheidungen in komplexen Situation Nachhaltiger [sic] Entwicklung zu befähigen“(Bögeholz et al. 2004, S. 102). So ist die Förderung der Bewertungs- und der daraus resultierenden Urteilskompetenz mithilfe eines Modells, das zur Findung rationaler Entscheidungen anleitet, durchaus sinnvoll. Die meisten dieser Modelle zur Urteilsbildung entstammen ursprünglich der Biologiedidaktik (vgl. Applis 2015), beziehen sich aber ihrerseits auf philosophische Grundlagen und können nun wieder in den Ethikunterricht rückgeführt werden.
Ein Modell zur Entscheidungsfindung aus der Biologiedidaktik
Die meisten Entscheidungsmodelle, so auch das dieser Stunde zugrundeliegende, sind Prozessmodelle. Die Entscheidungsfindung durchläuft verschiedene Phasen, die jedoch nicht zwingend chronologisch ablaufen müssen, sondern auch zirkulär durchlaufen werden können. In einer präselektionalen Phase wird zunächst eine entscheidungsrelevante Situation als solche wahrgenommen und entsprechende (Handlungs-)Optionen identifiziert. Um diese mit den entscheidenden Kriterien auszustatten, widmet sich die präselektionale Phase nun vornehmlich der Informationssuche. Bereits hier greifen die faktische Komplexität im Hinblick auf korrekte Daten sowie die ethische Komplexität hinsichtlich der Auswahl relevanter Faktoren ineinander. Die darauffolgende selektionale Phase ist das Kernstück des Bewertungsprozesses. Nachdem die Optionen in der vorherigen Phase systematisiert und in ihrer Komplexität verringert wurden, können sie nun miteinander verglichen und gegeneinander abgewogen werden. Abschließend wird die so getroffene Entscheidung in einer postselektionalen Phase als Handlungsabsicht umgesetzt. Hierzu zählt beispielsweise die Realisierbarkeit der Aktion oder notwendige Schritte zur Umsetzung eines Plans abzuschätzen. Der Fokus hier vorgestellten Unterrichtsstunde liegt auf der selektionalen Phase. Dass also für die Entscheidung zu einem Verkehrsmittel nicht etwa allein ökologische, sondern auch ökonomische oder soziale Faktoren miteinberechnet werden müssen, wird durch die Materialauswahl vorgegeben.



Folien aus: Bögeholz, Susanne / Eggert, Sabina (2005): „Systematisches Bewerten im Biologieunterricht“. 3. zentrale Fortbildungstagung für Set-Koordinator(inn)en im BLK-Programm SINUS-Transfer. Soltau.
Bögeholz und Eggert (2006, S. 161), die das Modell federführend in der Biologiedidaktik etabliert haben, stellen den Verlauf des Entscheidungsprozesses folgendermaßen dar: Zunächst werden die verschiedenen wählbaren Optionen (in dieser Stunde: Zug, Auto und Flugzeug) aufgelistet und das Ziel definiert (hier: das beste Verkehrsmittel zu wählen). Anschließend werden die relevanten Bewertungskriterien ausgewählt (etwa Kosten, Zeitaufwand oder Komfort) und entsprechend der beim Entscheider vorherrschenden Wertvorstellungen ihrer Relevanz nach gewichtet, wobei wiederum die ethische Kompetenz zum Tragen kommt. Im Anschluss an die oben erläuterte Komplexität des Modells beruhen natürlich auch mögliche Kritikpunkte an der getroffenen Entscheidung einerseits auf den faktischen Aspekten der Aufgabe (beispielsweise hinsichtlich einer unterkomplexen Faktenlage) oder andererseits auf der ethischen Komplexität (etwa bei ungerechtfertigter Gewichtung der Faktoren).
Nachdem so die Sachinformationen in Relation zur den normativen Werthaltungen des Entscheidenden gesetzt wurden, kann eine Rangfolge berechnet werden, um die innerhalb des konstruierten Falls bestmögliche Entscheidung zu errechnen. Der Ausdruck in Zahlen suggeriert hier eine Messbarkeit der Handlungsoptionen, die so natürlich nicht gegeben ist. Da es aber Ziel dieses Entscheidungsfindungsmodells ist, eine pragmatische Handlungsanweisung für einen konkreten Fall zu erhalten und nicht etwa grundsätzliche Moralvorstellungen zu bewerten, ist das in Zahlen klar ablesbare Ergebnis von Vorteil.
Didaktische Reduktion des Bewertungsansatzes
Da die oben erläuterte doppelte Komplexität meist über die Grenzen des naturwissenschaftlichen wie auch über die des Ethikunterrichts hinausreicht (vgl. Dittmer/Gebhard 2012, S. 82), ist eine didaktische Reduktion der verschiedenen Komplexitäten zwingend erforderlich. Die Einführung des systematischen Bewertens in der Arbeit bereits mit 10- bis 12-Jährigen ist dennoch gerechtfertigt, da die Schüler*innen so progressiv auf den Umgang mit steigender faktischer wie ethischer Komplexität vorbereitet werden (vgl. u.a. Bögeholz/Eggert 2005).
Aus diesem Grund wird das Bewertungsmodell hier möglichst niederschwellig eingeführt, gleichzeitig werden aber die für die Entscheidung relevanten Inhalte verhandelt. So werden, wie bereits angedeutet, sowohl die wählbaren Handlungsalternativen Autofahrt, Zugfahrt und Flug als auch die bewertungsrelevanten Kriterien am Stundenbeginn und durch das Material vorentlastet, um die Komplexität der Entscheidungsmatrix zu reduzieren. So sind von der Entscheidung zunächst nur die im fiktionalen Rahmen eingeführten Familienmitglieder betroffen und nicht etwa die Gesellschaft, wie es bei der deutlich komplexeren Entscheidung, ob es eine Kerosinsteuer geben sollte, der Fall wäre.
Zudem wurde das Reiseziel Paris gewählt, um einen Fall zu schaffen, der die Reiseoptionen in etwa vergleichbar macht. Eine viel kürzere oder deutlich längere Reise könnte die Abwägung der verschiedenen Optionen deutlich erschweren, wenn etwa immens hohe Kosten gegen die ohnehin schwer vorstellbaren Folgen für die Umwelt abgewogen werden müssten. Um diese Vielschichtigkeit der abstrakten Umweltfolgen weiter zu reduzieren, wird hier außerdem auf genaue CO2-Tonnen-Berechnungen und detaillierte Darstellungen der Umweltschäden verzichtet und stattdessen lediglich anhand einer Grafik verdeutlicht, dass die Wahl des Flugzeugs im Entscheidungsszenario drei Mal so schädlich sei wie die des Autos. So steht im Mittelpunkt des Unterrichtsvorschlages keine detaillierte Erarbeitung der genauen wissenschaftlichen Folgen einer Flugreise, sondern eher die Sensibilisierung dafür, dass man durch die Wahl des Verkehrsmittels durchaus Einfluss auf die Umwelt ausübt. Gleichermaßen wurden Preise und Fahrzeiten gerundet, um den Schülern das Abwägen klar erkennbarer Faktoren in den richtigen Größenordnungen zu ermöglichen, statt durch exakte Zahlen zu verkomplizieren.
Zu diesem Zweck finden sich auch die zu vergleichenden Kriterien bereits auf dem Arbeitsblatt oben aufgelistet, da die Beschaffung und Auswahl von Informationen in der präselektionalen Phase zwar wichtig ist, aber nicht Stundenschwerpunkt sein soll. So werden auch als möglichst geringe Komplexitätsstufe nur drei Merkmale verglichen statt vielfältiger Kriterien, die die Schüler in einem freieren Aufgabenformat benennen könnten. Auch die bereits vorgezeichnete Tabelle hilft der Strukturierung der Methode, bietet sich aber pragmatisch auch aus zeitökonomischen Gründen an. Ebenfalls im Hinblick auf die zeitlichen Begrenzungen der Unterrichtsstunde werden die oben kurz skizzierten möglichen Vertiefungen zur Thematik der Kerosinsteuer, atmosfair.de oder auch der Flugscham nicht in der Stunde expliziert werden, um den Stundenschwerpunkt auf das Trainieren der Urteilskompetenz zu setzen.
Autorin: Carola Schneider
Bilder: Freepik https://de.freepik.com/vektoren-kostenlos/eine-glueckliche-familie-mit-ihren-grosseltern_4294812.htm#page=2&query=dad&position=2
Literatur
Applis, Stefan (2015). „Die empirische Wende in der Fachdidaktik und die (Sonder-)Stellung der Philosophiedidaktik.“ Philosophie und Lehre. Philosophisch-ethische Themen und fachdidaktische Zugänge, hrsg. v. Nida-Rümelin J., Spiegel I., Tiedemann M. Paderborn.
Bögeholz, Susanne / Eggert, Sabina (2005): „Systematisches Bewerten im Biologieunterricht“. 3. zentrale Fortbildungstagung für Set-Koordinator(inn)en im BLK-Programm SINUS-Transfer. Soltau.
Bögeholz, Susanne et al. (2004).„Bewerten – Urteilen – Entscheiden im biologischen Kontext: Modelle in der Biologiedidaktik“. In: Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, S. 89-115.
Bundeszentrale für politische Bildung (2016). „Homo oeconomicus”. 2016.
Dittmer/Gebhard: „Stichwort Bewertungskompetenz: Ethik im naturwissenschaftlichen Unterricht aus sozial-intuitionistischer Perspektive“. In: Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaft, Jg. 18 (2012), S. 81-98.
Eggert, Sabina (2008). Bewertungskompetenz für den Biologieunterricht – vom Modell zur empirischen Überprüfung. Göttingen.
Eggert, Sabina; Bögeholz, Susanne (2006): „Göttinger Modell der Bewertungskompetenz – Teilkompetenz ‚Bewerten, Entscheiden und Reflektieren‘ für Gestaltungsaufgaben Nachhaltiger Entwicklung“. In: Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, S. 177-199.
Gaissmeier, Wolfgang. In: „Woher weißt du das? Der Zeit Wissen Podcast“.
Marchand, Silke (2015). Nachhaltig entscheiden lernen. Urteilskompetenzen für nachhaltigen Konsum bei Jugendlichen. Bad Heilbrunn.
Raab, Klaus (2019). „Flugscham. Der dumme Weltbürger“. In: Zeit Online. 17. Mai 2019.
Reitschert, K.; Hößle, C. (2007) „Wie Schüler ethisch bewerten“. In: Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, Jg. 13, S. 125-143.
Vertiefende Hinweise zur Durchführung
Der Aspekt der Umweltverträglichkeit wird zu Beginn noch ausgespart, um die Schüler*innen zunächst mit vergleichsweise einfachen Kategorien wie Preis und Zeitaufwand an die Methode heranzuführen. Entsprechend kann die doppelte Komplexität der Aufgabe dahingehend reduziert werden, dass auf der Sachebene eindeutig vergleichbare, gut vorstellbare Kriterien präsentiert werden, die zudem auf der ethischen Bewertungsebene klar zu beurteilen erscheinen. So betrifft die Abwägung eines günstigen, längeren Reisewegs gegenüber einem teureren, schnelleren zunächst nur die eigenen Vorlieben und Bedürfnisse und spart die Verantwortung gegenüber weiteren Faktoren, wie der Umwelt, noch vorläufig aus. Sollten die Schüler dennoch bereits an dieser Stelle auf den Umweltaspekt oder weitere mögliche Kriterien eingehen wollen, sollen diese bewusst bis zu einem späteren Zeitpunkt zurückgestellt werden, um zunächst das Beherrschen der Methode am einfachen Beispiel sicherzustellen.
Zu ebendiesem Zweck wird die Matrix anfänglich im Plenum ausgefüllt, um die Einführung in die Methode zu visualisieren und Raum für eventuelle Rückfragen zu geben. Um sicherzustellen, dass möglichst jede*r Schüler*in das rein methodische Vorgehen zum Ausfüllen und Berechnen der Entscheidungsmatrix beherrscht, vervollständigen die Schüler*innen die Tabelle schließlich selbstständig in Einzelarbeit. Die Sicherung dieser ersten Erarbeitungsphase erfolgt wiederum im Plenum, um das Verständnis möglichst aller Schüler*innen zu gewährleisten.
Zur progressiven Steigerung der Komplexität und um den oben erläuterten Aspekt des nachhaltigen Konsums einzuführen, wird wiederum auf die Rahmenhandlung zurückgegriffen, um neues Informationsmaterial bereitzustellen. So findet die Figur Lukas Reiselustig bei der Internetrecherche ein Video, das die klimaschädlichen Auswirkungen von Flugreisen darstellt. Da außerdem der Schwerpunkt nicht darauf liegt, naturwissenschaftliche Zahlen und Fakten detailliert zu erarbeiten, sondern ein grundsätzliches Verständnis für die Konsequenzen von klimaschädlichem Verhalten zu entwickeln, entfalten die Bilder der Umweltfolgen im Video eine stärkere Wirkung. Im hier vorgeschlagenen Video wird angedeutet, dass die Problematik der Flugreisen multifaktoriell bedingt ist. Dabei geht es einerseits um die Menschen, die größtenteils zum Vergnügen oft auch nur kurze Strecken fliegen, die auch mit anderen Verkehrsmitteln zu bewältigen wären, und andererseits um die fehlenden technologischen Alternativen sowie die ökologischen Auswirkungen. Unter anderem die Informationsdichte des Beitrags legt hier einen binnendifferenzierenden Ansatz nahe. So werden drei verschiedene Höraufträge zum Video gestellt, deren steigender Schwierigkeitsgrad angezeigt ist. Dabei stellt der Vergleich eines „umweltbewussten Vegetariers“ im Video natürlich eine mögliche Irritation dar, die im Anschluss geklärt werden kann, mehr aber noch werden durch das Wiederaufgreifen dieser Benennung weitere Aspekte des Umweltschutzes angesprochen. So wird peripher auch das tägliche Autofahren als relevante Umweltentscheidung angesprochen und der Fleischkonsum als potenziell klimaschädlich angedeutet. Beide Aspekte sind für die hier vorliegende Unterrichtsstunde nicht von zentraler Bedeutung, können aber bereits Anknüpfungspunkte für spätere Unterrichtseinheiten im Bereich Konsum und Freizeit bieten. Auch bei der Analyse der Grafik ist das Ziel wiederum nicht die detaillierte Analyse des Diagramms, sondern eine visuelle Unterstützung der Größenordnungen.
Gleichzeitig kann dabei die Auswertung eines einfachen Diagramms wiederholt werden. Darauf aufbauend erhalten die Schüler nämlich ein für ihren Entscheidungsfall relevanteres Diagramm, das die Umweltbelastung verschiedener Verkehrsmittel auf einer Strecke angibt, die genau der Distanz zwischen der Stadt Nürnberg und Paris entspricht. Diese zusätzliche Information, die die Schüler*innen nun bereits auf der Rückseite ihres Arbeitsblattes finden, muss nun in eine neue Entscheidungsmatrix eingearbeitet werden. Die Anlage der weiteren Grafik auf der Rückseite des Arbeitsblattes birgt zwar das Risiko, dass manche Schüler schon vorzeitig umblättern und den zusätzlichen Bewertungsaspekt vorab sehen, scheint aber hinsichtlich des ressourcenschonenden Umgangs mit Arbeitsmaterial einem zweiten Arbeitsblatt vorzuziehen. Da die Schüler*innen mit der Methodik der Entscheidungsmatrix nun schon vertraut sind, können sie sich nun verstärkt auf die Bewertung der Faktoren konzentrieren. Dies ist insbesondere insofern vorteilhaft, als die Verantwortung gegenüber der Umwelt eine höhere Abstraktionsebene verlangt als die direkten eigenen Bedürfnisse und daher größere Ansprüche an die Urteilskompetenz stellt.
Lag der Fokus in der ersten Erarbeitungsphase also auf der mechanischen Beherrschung der Entscheidungsmatrix, verschiebt sich der Schwerpunkt nun zu dem ungleich schwierigeren Bewerten der Klimafolgen.
Die Doppelstruktur der Stunde, die aus dem methodischen Entscheidungsmodell und dem inhaltlichen Beispiel der Flugreisen hervorgeht, zeigt sich auch anhand der zweifachen Vertiefungsphasen. So kann zunächst der inhaltliche Aspekt der verantwortungsbewussten Wahl von Verkehrsmitteln intensiviert werden, indem anhand einer weiteren Comicfigur thematisiert wird, wie auch Menschen, die sich weniger für die Umwelt interessieren, dazu gebracht werden können, verantwortlich mit dieser umzugehen. Nachhaltiges Verhalten ist für den Ethikunterricht in der Unterstufe aus einer Vielzahl von Gründen normativ gesetzt. Zwar mag es dennoch Schüler geben, die die kritische Perspektive einnehmen würden, Umweltschutz sei weniger wichtig, hier bietet sich jedoch die Fixierung an einer fiktionalen Figur sogar noch stärker an als im Einstieg. Da zu erwarten ist, dass sich die Vielzahl der Schüler*innen für den Umweltschutz ausspricht, und letzten Endes dies auch als die moralisch hochwertigere Position gewertet werden muss, ist hier das Bloßstellen einzelner Schüler zu vermeiden, denen der verantwortungsvolle Umgang mit ihrer Umgebung noch nicht so präsent ist wie den übrigen. Die Verquickung von Inhalt und Methode wird hier deutlich, indem analysiert wird, dass die Manipulation einzelner Faktoren der Matrix (z.B. Preis) Auswirkungen auf das Gesamtergebnis der Entscheidung nehmen kann. Wenn also Flugtickets teurer wären, beispielsweise um die bisher freiwilligen Kompensationszahlungen obligatorisch gleich mitabzudecken, würden sich vermutlich mehr Menschen für umweltfreundliche Verkehrsmittel entscheiden.
Während diese erste Vertiefungsphase zwar bei der Behandlung der Sachebene auch die Methodik mitberücksichtigt, soll eine zweite Vertiefungsphase explizit weitere Aspekte des Modells zur Entscheidungsfindung zum Gegenstand haben, da der Stundenfokus ja auf der Einführung des Modells liegt, die lediglich am Beispiel der Flugreisen abgehandelt wird. Um die Rahmung der Stunde wiederaufzugreifen und abzuschließen, wird noch einmal auf Lukas Reiselustig Bezug genommen, der nun auch andere Entscheidungen mit der neu gelernten Matrix treffen möchte. Sofern genug Zeit vorhanden ist, sollen sich die Schüler hier im Think-Pair-Share-Verfahren damit auseinandersetzen, welche Situationen sich für den Einsatz des Modells anbieten und welche eher nicht. Der Anspruch ist hierbei nicht, für jede denkbare Situation eine klare Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit des Modells zu diagnostizieren, sondern die Schüler für mögliche Einflussfaktoren zu sensibilisieren. Dass es den rein rational denkenden und immer auf Nutzenmaximierung ausgelegten homo oeconomicus in dieser Reinform nicht gibt, kann so implizit deutlich werden.
Das Think-Pair-Share-Verfahren soll hier eine möglichst breite Schüler*innenaktivierung bezwecken, indem zunächst jeder Schüler aktiv Überlegungen anstellen und diese dann im Partnergespräch verbalisieren soll. Eine Zusammenführung im Unterrichtsgespräch kann daraufhin besonders gute Überlegungen der Schüler*innen hervorheben und eine Gesamtsicherung einleiten.
Autorin: Carola Schneider