Nachhaltigkeitsdilemmata im Kontext einer lösungsorientierten Didaktik –
Ein Distance Learning-basiertes Aus- und Fortbildungskonzept
Das Christian-Ernst-Gymnasium in Erlangen geht in eine neue Runde als Partner in einem Projekt zur Entwicklung und unterrichtlichen Erprobung von Nachhaltigkeitsdilemmata, das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt finanziert wird. Schüler*innen und Lehrkräfte der Seminarschule für Geographie und Ethik waren bereits maßgeblich beteiligt an der Entwicklung des Unterrichtsmaterials für das Projekt „Schrottschatz“, das in Zusammenarbeit mit der „Arbeitsgruppe Geographiedidaktik“ um Rainer Mehren an der Justus-Liebig-Universität Gießen entwickelt wurde.


Viele Fragen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsthemen sind heftig umstritten und es ist für die meisten Menschen schwer, sich diesbezüglich Orientierung zu verschaffen. Dabei wissen wir, bei gründlicher Betrachtung, meinen manche, doch genug, um klar Position zu beziehen.
Dennoch ist es herausfordernd, die Komplexität der Zusammenhänge nicht nur zu überschauen, sondern auch zu reduzieren, Ordnung in die Dinge zu bringen. Die Deutsche Bundestiftung Umwelt fördert deshalb Projekte, die Nachhaltigkeitsdilemmata als Bildungsanlass und den Umgang mit Unsicherheiten als Bildungsziel stärker in der Schule verankern. Um diese Zielsetzung zu erreichen, sind Schulfächer wie Geographie und Philosophie/Ethik zentrale Schlüsselfächer. Nachhaltigkeitsdilemmata und der Umgang mit Unsicherheiten sind oftmals durch eine doppelte Komplexität geprägt. Auf der einen Seite bedingen die vielfach hohe Menge beteiligter Variablen, deren Vernetzung (zahlreiche Querverbindungen zwischen den beteiligten Variablen inkl. Parallel-, Rückkoppelungen,…), die Dynamik (zeitliche/zeitverzögerte Veränderungen, die zu einer Veränderung der ursprünglichen Problemlage führen, Beschleunigung von Entwicklungen,…), die Intransparenz (fehlende Informationen,…), die Polytelie (Vielzieligkeit, teilweise widersprüchlich,…) und die räumliche Umfassendheit (verwobene Maßstabsebenen von lokal bis global,…) eine faktische Komplexität. Auf der anderen Seite erzeugen konkurrierende Wertmaßstäbe und unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Handlungsalternative „richtig“ ist, die ethische Komplexität (Mehren et al., 2015).
Im Projekt geht es darum, Unterrichtsmaterialien für unterschiedliche Jahrgangsstufen und Schularten zu entwickeln, zu erproben und zu optimieren, in denen Nachhaltigkeitsdilemmata als Bildungsanlass integriert und der Umgang mit Unsicherheiten als Bildungsziel adressiert werden.
Diese Unterrichtsmaterialien sollen in eine lösungsorientierte Didaktik eingebunden werden. Schüler*innenlösungen und Aussagen von Schüler*innen zu den Nachhaltigkeitsfragen kommt hierbei eine zentrale Rolle zu, weil Lehrkräfte so besser in die Lage versetzt werden können, möglichst variantenreich auf Unterrichtsentwicklungen zu reagieren. Wie bereits im Projekt „Schrottschatz“ erfolgt, werden die Unterrichtsmaterialien an einer Auswahl von Partnerschulen entwickelt und erprobt – eine zentrale Rolle spielen hierbei Schüler*innen und Lehrkräfte im Geographie- und Ethikunterricht am Christian-Ernst-Gymnasium Erlangen.
Vor allem mittels einer Distance Learning-basierten Aus- und Fortbildungsstrategie kann eine möglichst große Verbreitung von Unterrichtsmaterialien erreicht werden. So können Lehrkräfte unterstützt werden, auf der Basis der Aus- und Fortbildungen eigenständig analoge Unterrichtsarrangements
Prof. Dr. Rainer Mehren, Georgraphiedidaktiker an der Justus-Liebig-Universität Gießen
zu entwickeln bzw. bestehende zu optimieren. Letztlich ist das übergeordnete Ziel, möglichst viele Schüler*innen im Geographieunterricht in einem konstruktiven Umgang mit Unsicherheiten im Zusammenhang von Nachhaltigkeitsfragen zu stärken und sie zur Mitwirkung an kooperativen und
kollaborativen Lösungsansätzen zu befähigen und zu motivieren.
Wegen der zunehmenden Bedeutung von Distanzlernen wird die Bereitstellung von Unterrichtsmaterial und Fortbildungsmaterial für Lehrkräften auf Webseiten und Blogs im Open-Access-Format hierbei immer wichtiger.





Schüler*innen am Christian-Ernst-Gymnasium erproben Unterrichtsmaterialien für das Projekt „Schrottschatz“
Die Dilemmadiskussionsmethode als Förderinstrument in den Kompetenzbereichen Beurteilung und Bewertung
»Nicht die reinen Fakten – die Oberflächenstrukturen – sind es ja, die einen Fall diskussionswürdig machen, sondern deren Bedeutungen für uns oder für die anderen und die Vernetzungen – die Tiefenstrukturen.«
(Rhode-Jüchtern 1995, S. 22)
Die Grundthese der Forschung zur moralischen Urteilsfähigkeit ist, dass durch moralisches Konflikterleben die je eigenen Strategien der Beurteilung als nicht hinreichend erfahren werden, so dass die Person, um ihr Selbstkonzept wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, ihr wertbezogenes Denken und die ihr zur Verfügung stehenden Argumentationsmuster reorganisieren muss. Für die Bildung bedeutet dies, Möglichkeiten konstruktiver diskursiver Auseinandersetzung zu schaffen, eine Differenzierung moralrelevanter Kompetenzen anzustreben und eine Sensibilisierung für das Erkennen von Situationen, in denen das Einbeziehen von ethischen Werten relevant ist, zu erzeugen. Das zentrale Förderinstrument stellt die Dilemmadiskussion als Unterrichtsmethode dar. Im Kern geht es darum,
- eine Sensibilisierung für das Erkennen von Situationen, in denen das Einbeziehen von ethischen Werten relevant ist, zu erzeugen.
- Möglichkeiten konstruktiver diskursiver Auseinandersetzung zu schaffen,
- eine Differenzierung moralrelevanter Kompetenzen anzustreben,
- Kenntnisse zu ethischen Werten und Sicherheit mit Umgang mit philosophischen Argumentationsfiguren einzelner
ethischer Konzepte vermitteln (z.B. utilitaristische Argumentationen in der Umwelt- und Wirtschaftsethik, Gerechtigkeit
in der politischen Ethik, Menschenwürde bei Kant, Verantwortungsethik bei Hans Jonas), - anleiten, Sachzusammenhänge kompetent analysieren und ins Verhältnis zu ethischen Forderungen setzen,
- Handlungsentscheidungen treffen auf Grundlage systemischer Analysen und ethisch-normativer Forderungen.
Hierzu werden bestehende Unterrichtssmodule weiterentwickelt, mit Schüler*innen im Fachunterricht eprobt und in den Fachschaften und im Seminarunterricht reflektiert. Anschließend werden von der „Arbeitsgruppe Geographiedidaktik“ um Rainer Mehren Konzepte für schulinterne Lehrer*innenfortbildungen und Ausbildungsmodule für Referendar*innen entwickelt und durchgeführt, die online über diese Website zur Verfügung gestellt werden.
Literaturempfehlungen
Applis, S. (2015). Analysis of Possibilities of Discussing Questions of Global Justice in Geography Classes. International Research in Geographical and Environmental Education. 24(3), 273-285.
Mehren, R., Rempfler, A., Buchholz, J., Hartig, J., & Ulrich-Riedhammer, E. (2018). System competence modelling: Theoretical foundation and empirical validation of a model involving natural, social,
and human-environment systems. Journal of Research in Science Teaching, 55(5), 685-711.
Mehren, M., Mehren, R., Ohl, U. & Resenberger, C. (2015). Die doppelte Komplexität geographischer Themen – eine Herausforderung für Schüler und Lehrer. Geographie und Schule, (216), 4-11.
Ulrich-Riedhammer, E. M. (2017). Ethisches Urteilen im Geographieunterricht. Theoretische Reflexionen und empirisch-Unterrichtsbetrachtung zum Thema „Globalisierung“. Münster: readbox.