Raumwirksamkeit des Umgangs mit Tieren im Anthroopozän
In der Folge von Corona-Ausbrüchen in mehreren Großschlachtbetrieben wurde im vergangenen Jahr bereits verstärkt über Haltungsbedingungen von Tieren in der Fleischindustrie diskutiert.
Der Umgang des Menschen mit der Natur und mit Tieren hat mittlerweile Folgen globalen Ausmaßes. Die Zerstörung der Ökosysteme bedingt den Klimawandel, dessen Folgen wir bereits wahrnehmen können. Krankheiten wie SARS, MERS oder Covid-19 sind darauf zurückzuführen, dass Erreger von (Wild-)Tieren auf Menschen übergegangen sind, was sowohl auf Tierhaltung und -handel als auch auf die fortschreitende Ausbreitung des menschlichen Lebensraumes ein kritisches Licht wirft. Daneben ist unser Fleischkonsum ein Motor des Klimawandels.
Johanna Amthor (2021), Blogbeitrag zur „Raumwirksamkeit des Umgangs mit Tieren im Anthropozän“ auf doinggeoðics.
Selbst die ehemalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner forderte eine „Tierwohlabgabe“, damit Fleisch keine „Ramschware“ mehr sein könne. Der neue Agarminister Cem Özdemir forderte ebenfalls sofort höhere Preise für Lebensmittel. Kritik daran wird meist deswegen vorgebracht, weil sich nicht alle Bürger*innen höhere Preise leisten können:
- Jörg Wimalasena (2021). Höhere Preise für Lebensmittel. Versnobte Oberschichtpartei. Die TAZ, 27.12.2021.
- Alfons Frese (2021). Weniger Fleisch, höhere Preise. Ist Özdemirs große Lebensmittelreform zu ehrgeizig? Der Tagesspiegel, 27.12.2021.
Der Philosoph Bernd Ladwig argumentiert in seinem jüngst erschienenen Buch „Politische Philosophie der Tierrechte“ freilich aus einer ganz anderen, grundlegenden Richtung. Seiner Ansicht nach solle man Tieren eine Reihe von Rechten zukommen lassen, die weit über aktuelle Tierschutzbestimmungen hinausgehen. Im Philosophiemagazin erläutert er seine Forderung im Gespräch; diese gründet auf zwei Ideen:
Die erste besteht darin, dass wir fraglos annehmen, wir als Menschen haben bestimmte Rechte. Die zweite ist, dass die Moral frei von Willkür sein muss. Das bedeutet, dass gleiche moralisch erhebliche Eigenschaften, etwa die Schmerzempfindlichkeit, bei verschiedenen Individuen gleich beachtet werden sollen. Nun wollen wir Menschenrechte geachtet wissen, weil wir bestimmte, besonders grundlegende Interessen haben, die wir durch diese Rechte schützen wollen. Man kann sich an Extrembeispielen wie der Folter klar machen, dass einige dieser Interessen nicht allein unseren höheren Vermögen wie Autonomie oder Moralfähigkeit gelten, sondern dass wir diese Interessen bereits als Kreaturen besitzen. Kreaturen, die leiden können, die fürsorge- und bindungsbedürftig sind, die leiblich existieren und endlich sind. Und in dieser Hinsicht sind wir – auch normativ gesehen – mit Tieren in einem Boot. Es wäre dementsprechend willkürlich, wenn wir diese Interessen in unserem Fall mit Rechten bewehren, Tieren aber jedwede Rechte vorenthielten.
Gespräch mit Bernd Ladwig (Philosophiemagazin 2020)
Anmerkungen zum Einsatz in den Unterrichtsfächern Philosophie, Ethik und Geographie
Interview und Gespräch auf Sternstunde Philsophie enthalten wichtige Überlegungen zur Raumwirksamkeit menschlichen Handelns in Bezug auf den Umgang mit Tieren und damit verbundene ethische Fragestellungen. Im Ethikunterricht können sie ab einer Jahrgangsstufe eingesetzt werden, in der grundlegende Überlegungen zu politischen Rechte- und Pflichtverhältnissen behandelt werden – hier können Bernd Ladwigs verständlich vorgebrachte Argumente sowohl als Einstieg wie auch zur Problematisierung dienen und möglicherweise als Gegenhorizont zu Ausführungen des Utilitaristen Peter Singer verwendet werden, der – trotz seiner Beiträge zu ethischen Verantwortlichkeit des Menschen gegenüber tierischem Leiden – Tieren keine Rechte zuweist, welche bürgerlichen Rechten vergleichbar wären.
Im Geographieunterricht werden gewiss eher Fragen der Raumwirksamkeit menschlichen Handelns im Zentrum der Betrachtung stehen, vor allem solche, die die Folgen eines industrialisierten, massenhaften Fleischkonsums auf die Erderwärmung thematisieren – auch hierzu bietet das Interview zahlreiche geeignete Passagen, die faktische und ethische Komplexität des Feldes aufzeigen und als Grundlage für die Vorbereitung einer diskursiven Auseinandersetzung im Unterricht dienen können. In diesem Zusammenhang werden an dieser Stelle noch einmal die Beiträge von Markus Wild, einem Philosophen der Universität Basel, empfohlen, dessen zentrale Überlegungen bereits auf doinggeoðics skizziert wurden: Insbesondere sei hier der englischsprachige, leicht verständliche, auf Youtube verfügbare Vortrag „Das urbane Tier: Mensch-Tier-Gemeinschaften in der Stadt“ genannt.
Text: Stefan Applis (2022)
Bild: Suhrkamp-Verlag (2020)
Literaturempfehlungen:

Ladwig, Bernd (2020). Politische Gerechtigkeit für Tiere. In: Jaeger, Friedrich (eds) Menschen und Tiere. Cultural Animal Studies, vol 9. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05625-2_10
Von einem political turn der Tierethik ist erst neuerdings die Rede. Jedoch war diese für ihre politische Bedeutung von Anfang an nicht blind. Bereits Peter Singer und Tom Regan, die Pioniere der philosophischen Tierethik, haben politisch konnotierte Konzepte wie „Befreiung“, „Rechte“ und „Gerechtigkeit“ gebraucht und auf die Wichtigkeit öffentlicher Bewusstseinsbildung, kollektiven Handelns und neuer Gesetze hingewiesen.

Ladwig, Bernd (2020). Politische Philosophie der Tierrechte. suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2315
Alljährlich fügen wir Milliarden von Tieren schweres Leid zu und bringen sie ums Leben, nur um geringfügige Vorteile wie etwa den Geschmack ihres Fleisches zu genießen. Da diese Verletzung der Rechte von Tieren zu den gesellschaftlichen Grundordnungen gehört, die wir gemeinsam verantworten, ist sie ein Thema für die politische Philosophie. Bernd Ladwig gibt einen profunden Überblick über die heutige Debatte. Er zeigt auf, dass wir Tieren, deren Lebensbedingungen wir umfassend kontrollieren, Mitgliedschaftsrechte schulden, warnt jedoch zugleich vor ihrer Vermenschlichung. Die letzte politische Verantwortung für gerecht geregelte Beziehungen zu Tieren tragen einzig und allein wir.

Wild, Markus (2019). Tierphilosophie zur Einführung. Junius-Verlag.
Was unterscheidet Mensch und Tier? Denken Tiere? Haben Tiere Rechte? Das sind die drei zentralen Fragen der Tierphilosophie. Die vorliegende Einführung konzentriert sich auf die ersten beiden Fragen und entwirft zum ersten Mal einen Ansatz, in dem Tiere konsequent zum Ausgangspunkt philosophischer Reflexion werden. Tiere sind denkende Wesen, und der Mensch ist schon als Tier ein denkendes Wesen. Allerdings unterscheidet er sich dadurch vom Tier, dass er eine kulturelle Welt hervorgebracht hat, die ihn weit über das tierliche Bewusstsein hinausblicken lässt. Ausgehend von neuen Untersuchungen aus der Verhaltensforschung zu Affen, Krähen und anderen Tieren und den Überlegungen von Philosophen wie Descartes, Darwin, Davidson, Dretske oder Derrida spannt dieser Band ein Panorama des Nachdenkens über Tiere auf, das auch den Blick auf den Menschen verändert.

Grimm, Herwig & Wild, Markus (2020). Tierethik zur Einführung. Junius-Verlag.
Zwischen Menschen und Tieren besteht seit jeher eine enge und spannungsreiche Beziehung. Doch erst seit gut vierzig Jahren wird unter dem Begriff der Tierethik unsere moralische Verantwortung gegenüber Tieren intensiv verhandelt. Seit den klassischen Argumentationen von Peter Singer oder Tom Regan sind tierethische Überlegungen in alltäglichen und gesellschaftlichen Debatten präsent, wobei Schlagwörter wie »Speziesismus«, »Veganismus« oder »Tierrechte« die Gemüter beunruhigen. Die Tierethik hat sich aber seither weiterentwickelt. Diese Einführung legt sowohl klassische Ansätze als auch neuere Entwicklungen in der Tierethik dar. Neben zentralen Fragen, Argumenten und Einwänden diskutiert der Band auch drängende ethische Fragestellungen in praktischen Anwendungsfeldern (Nutztiere, Tierpark, Tierexperiment) .