Die Raumwirksamkeit des Umgangs mit Tieren im Anthropozän

Der Umgang des Menschen mit der Natur und mit Tieren hat mittlerweile Folgen globalen Ausmaßes. Die Zerstörung der Ökosysteme bedingt den Klimawandel, dessen Folgen wir bereits wahrnehmen können. Krankheiten wie SARS, MERS oder Covid-19 sind darauf zurückzuführen, dass Erreger von (Wild-)Tieren auf Menschen übergegangen sind, was sowohl auf Tierhaltung und -handel als auch auf die fortschreitende Ausbreitung des menschlichen Lebensraumes ein kritisches Licht wirft. Daneben ist unser Fleischkonsum ein Motor des Klimawandels.

Johanna Amthors Darstellung des Anthropozentrismus wird in zwei Teilen veröffentlicht. Teil I enthält grundlegende fachliche Überlegungen zum Umgang von Menschen mit Tieren und stellt Auswirkungen auf verschiedenen Ebene im Mensch-Umwelt-Verhältnis dar. Teil II enthält einen Unterrichtsvorschlag zur Reflexion des Mensch-Tier-Verhältnisses, der sich zur Durchführung in Mittel- und Oberstufe eignet, in vereinfachter Form auch in der Unterstufe durchgeführt werden kann (Anmerkung: Erscheint in der folgenden Woche).

„Haltung und Verarbeitung von Tieren machen laut UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation 14,5 Prozent der weltweiten Treibhausemissionen aus.“[1] Klimawandel, immense Tiernutzung und Pandemierisiko stehen dabei in einem unmittelbaren Zusammenhang.[2] Angesichts dieser globalen Herausforderungen erscheint es unumgänglich, dass wir unser Verhältnis zur Natur und zu Tieren überdenken müssen. Auch wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Fähigkeiten von Tieren fordern ein Umdenken heraus, denn „trotz hervorragender Forschung zum menschlichen und tierischen Verhalten in den vergangenen 50 Jahren beeinflusst das veraltete Bild über das Tier, welches nur auf Reize reagiert, nach wie vor unser Handeln“[3]. Ein Nachdenken über das Mensch-Tier-Verhältnis besitzt also starke Relevanz über schulische Kontexte hinaus. Das Thema erscheint zunächst vordringlich als ein Thema des Ethikunterrichts im Bereich der angewandten Ethik – allerdings erscheint es dringlich vor dem Hintergrund des gewaltigen Ausmaßes der Raumwirksamkeit menschlicher Handlungen in Bezug auf das Verhältnis zu Tieren es auch im Geographieunterricht zu behandeln.

Arten von Mensch-Tier-Verhältnissen

Unser Verhältnis zu Tieren ist durchaus von starken Widersprüchen gekennzeichnet. Während „Haustiere“ wie beispielsweise Hunde, Katzen oder Meerschweinchen als Individuen und Familienmitglieder wahrgenommen werden, zu denen eine starke emotionale Bindung besteht, werden „Versuchstiere“ (darunter auch solche, die als „Haustiere“ gelten) in der Forschung als Objekte für den menschlichen Erkenntnisgewinn behandelt und teils großem Leid ausgesetzt. „Nutztiere“ wie Kühe, Schweine oder Hühner wiederum landen auf dem Teller – oft nach einem tristen Leben in Massentierhaltung mit anschließender industrieller Tötung am Fließband in Schlachthöfen. Ihre Haltung richtet sich rein nach ökonomischen Prinzipien der industriellen Moderne.

Zoo- und Zirkustiere sind Teil unseres Freizeitprogrammes, während Rehe, die uns bei einem Naturspaziergang auf freier Flur im Morgennebel begegnen, zu unserem ästhetischen Naturgenuss beitragen. Hunde im Polizei- und Rettungsdienst, in der Schule oder als Unterstützung in Therapien wiederum gelten als „tierische Helfer“. Dieses ambivalente Verhältnis zeigt auf, „dass wir den Wert eines Tieres von dessen Beziehung zu uns abhängig machen“[5].

Der Anthropozentrismus als ethische Perspektive

Die Widersprüche in unserer Behandlung von Tieren sollten im Unterricht offengelegt werden und den Ausgangspunkt für eine weitere philosophische Differenzierung bilden: So lässt sich hier in Anlehnung an Dagmar Fenner ein instrumenteller, ein moralpädagogischer und ein ästhetischer Wert des Tieres für uns unterscheiden.[6] Bereits die gängige Einteilung in „Haus-, Versuchs- oder Nutztier“ offenbart eine anthropozentrische (gr. „anthropos“ = Mensch), d.h. eine an den Bedürfnissen und Interessen des Menschen orientierte Betrachtungsweise, welche Tiere (und die Natur) nach ihrem Nutzen für den Menschen bestimmt und letztendlich nur  ihm einen moralischen Wert im eigentlichen Sinne beimisst.

„Unser Weltbild wird von Humanismus, der Aufklärung und der modernen Biologie bestimmt. Trotzdem zehren wir insgeheim noch von der Idee der absoluten Vorrangstellung des Menschen, auch wenn diese inzwischen eine andere […] säkularisierte Form angenommen hat“[7],

Hilal Sezgin (2012)

Die anthropozentrische Sichtweise auf Natur und Tiere hat unsere christlich-abendländische Kultur über Jahrhunderte bestimmt und prägt unser Selbstverständnis bis heute. Dies zeigt sich auch auf sprachlicher Ebene, wenn wir für gleiche Vorgänge unterschiedliche Begriffe verwenden, sofern es um Tiere geht: „Essen / fressen, schwanger / trächtig, gebären / werfen“[8] – ergänzen ließen sich noch „Wochenbett / Abferkelbucht“ oder „nicht schwangere Frau / Leersau“, was den Kontrast besonders bildlich hervorhebt. Kritik äußerte 2015 auch Papst Franziskus, der vor einem „despotischen […] Anthropozentrismus“ warnt, „der den Eigenwert der Tiere, den Vorrang ihres Seins vor dem Nützlichsein nicht achtet“[9]. Jedoch steht diese ethische Grundposition nicht unbedingt im Widerspruch zu Forderungen nach mehr Tierschutz: So können verbesserte Haltungsbedingungen damit begründet werden, dass diese langfristig der Gesundheit der Menschen nützen.

Weitere ethische Grundpositionen zum Verhältnis zu Tieren und zum Naturraum generell

Seit den 1970er Jahren haben sich jedoch andere tierethische Grundpositionen Gehör verschafft – nicht zuletzt, da die traditionelle Vorstellung von der Vorrangstellung des Menschen u.a. aufgrund seiner Denk- und Sprachfähigkeit nicht mit den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft zu vereinbaren ist. So können auch Tiere kommunizieren und zielgerichtet handeln, haben ein Bewusstsein und verfolgen Interessen usw. – insgesamt scheinen sich Tiere eher graduell (und nicht qualitativ) von Menschen zu unterscheiden. Gerade die Ähnlichkeit mit dem Menschen bildet die Grundlage für Tierversuche. So erscheint es widersinnig, „bei Laborratten Gefühle wie Depressionen, Angst, Stress zu provozieren, um an ihnen entsprechende Psychopharmaka zu testen – im selben Atemzug aber zu behaupten, dass diese Angst, dieser Stress und diese Depressionen, kurz: das gesamte Innenleben der Ratte verglichen mit dem des Menschen nicht ins Gewicht falle“[10]. Pathozentriker (gr. „pathos“: Schmerz, Leid) fordern daher eine moralische Berücksichtigung von Tieren aufgrund ihrer Empfindungs- bzw. Leidensfähigkeit (diese umfasst sowohl physischen Schmerz als auch psychisches Leid). Diejenige Handlung erweist sich aus pathozentrischer Sicht als ethisch richtig, „bei der das Leid aller betroffenen leidensfähigen Lebewesen angemessen berücksichtigt wird.[11] Die ideengeschichtlichen Wurzeln dieses Ansatzes reichen zurück bis ins 18. Jahrhundert. Der Begründer des Utilitarismus[12], Jeremy Bentham, formulierte 1789 seine bis heute vielzitierten Sätze:

Es mag der Tag kommen, an dem man begreift, dass die Anzahl der Beine, die Behaarung der Haut oder das Ende des Kreuzbeines gleichermaßen ungenügende Argumente sind, um ein empfindendes Wesen dem gleichen Schicksal zu überlassen. […] Die Frage ist nicht, ‚Können sie denken?‘ oder ‚Können sie reden?‘, sondern ‚Können sie leiden‘?[13]

Jeremy Bentham (1789)

Der pathozentrische Ansatz findet sich auch im deutschen Tierschutzgesetz wieder: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“[14] Was als vernünftiger (moralischer) Grund gilt, muss freilich gesellschaftlich diskutiert werden, denn der Umgang mit Tieren in Landwirtschaft, Forschung und Freizeitindustrie wirft moralische Probleme auf. In der Folgestunde der Lehrprobenstunde soll daher mit den SchülerInnen diskutiert werden, inwieweit wir der moralischen Pflicht, Tieren kein Leid zuzufügen, im Alltag tatsächlich nachkommen können und wollen.

Die ethische Grundposition des Biozentrismus (gr. „bios“ = Leben) geht noch einen Schritt weiter: Nicht nur die Schmerzfreiheit, sondern auch das Wohlergehen von Tieren müsse geschützt werden, indem Tiere Möglichkeiten erhalten, ihre spezifischen Bedürfnisse (nach Bewegungsfreiheit, angemessener Betätigung, kleinen sozialen Gruppen usw.) zu leben. Die Forderung nach artgerechter Haltung basiert auf diesem Grundgedanken. Daneben verdienen auch schmerzunempfindliche Tiere und Pflanzen Schutz, da das Merkmal des Lebens hier im Zentrum der Ethik steht: „Die Handlungssubjekte sollen das Wohl der außermenschlichen Lebewesen um ihrer selbst willen schützen, so weit es nicht notwendig [ist], ihm zum Wohl anderer (z.B. von Menschen) zuwiderzuhandeln“[15]. Auch diese ethische Position kann für Unterrichtsprozesse fruchtbar gemacht werden, beispielsweise in Form eines Rollenspieles zu einem ethischen Streitfall wie den Bau einer Autobahn durch ein Naturschutzgebiet[16].

Am radikalsten ist der holistische (gr. „holos“ = ganz) Ansatz der Ethik, dessen Vertreter auch für die unbelebte Natur ethische Rücksichtname fordern. Diese ethische Grundposition versucht, die „Dichotomie zwischen Mensch und Natur“[17] zu überwinden. „Moralischen Schutz verdienen dann […] einerseits natürliche Kollektive wie Biotope, Ökosysteme, Landschaften oder biologische Arten, andererseits die natürlichen Einzelobjekte wie Flüsse, Felsen, Tiere oder Pflanzen“[18].

Seit den 1970er Jahren sind zahlreiche Tierschutz- und Tierrechtsbewegungen entstanden, welche die gesellschaftlichen Diskurse um den (Eigen-)Wert von Tieren weiter vorangetrieben haben. Auch auf wissenschaftlichem Gebiet wird das Verhältnis von Menschen zu Tieren seit den 1980er Jahren in den sogenannten „Human-Animal-Studies“ auf Basis eines fächerübergreifenden Ansatzes neu untersucht. Diese Disziplin sieht eine ihrer Aufgaben darin, „die Gesellschaft in Bezug auf ihren Umgang mit Tieren zu sensibilisieren und zu einer Verbesserung der Mensch-Tier-Verhältnisse beizutragen“[19]. In diesem Sinne ist auch die unterrichtliche Behandlung der Teilsequenz Tierethik zu verstehen.

Kurze didaktische Anmerkungen

Aus der obigen Darstellung sollte deutlich  geworden sein, wie komplex das Themenfeld Tierethik ist. Bei der Unterrichtsplanung ist daher darauf zu achten, dass die Inhalte einerseits in angemessener didaktisch reduzierter Form behandelt werden, andererseits aber auch ein gewisser Grad an Fachsprachlichkeit erhalten bleibt, um die Heranwachsenden schrittweise an ethische Argumentationsmuster heranzuführen. Der Fokus einer grundlegenden unterrichtlichen Behandlung kann also auf eine Reflexion der verschiedenen menschlichen Umgangsweisen mit Tieren und dem Kennenlernen der ethischen Grundposition des Anthropozentrismus gelegt werden, die mit Blick auf die Fähigkeiten einzelner Tiere problematisiert werden soll. Daran lassen sich Überlegungen anschließen, wie Tierschutz sinnvoll begründet und umgesetzt werden kann. Im Zuge der Diskussionen wird der Wert des persönlichen Engagements jedes Einzelnen in der Gesellschaft deutlich.

Zum Unterrichtsbeitrag von Johanna Amthor (zugänglich ab 11.10.2021)

Text: Johanna Amthor (2021)

Bild: Pflanzen.Forschung.Ethik; https://www.pflanzen-forschung-ethik.de/ethik/1499.ethik-begruendungen.html

Quellenverzeichnis


[1] Eßlinger, Laura: Welche Verantwortung der Mensch für die Corona-Pandemie trägt. In: Deutschlandfunk, 30.03.2021 (https://www.deutschlandfunk.de/klima-tiere-zoonosen-welche-verantwortung-der-mensch-fuer.724.de.html?dram:article_id=494994, zuletzt aufgerufen am 17.07.2021).

[2] Vgl. ebenda.

[3] Otterstedt, Carola: Bedeutung des Tieres für unsere Gesellschaft. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. 62 (2012), S. 14-15.

[4] Rosenberger, Michael: Vernunftlos oder beseelt? Unterwegs zu einer philosophischen und praktischen Neubewertung der Tiere. In: Praefaktisch. Ein Philosophieblog, 29.10.2019 (https://www.praefaktisch.de/tier/vernunftlos-oder-beseelt-unterwegs-zu-einer-philosophischen-und-praktischen-neubewertung-der-tiere/, zuletzt aufgerufen am 17.07.2021).

[5] Lindtner, Martin M.: Zwischen Würde und Nutzwert: Die Diskussion um den Eigenwert von Tieren. In: Praefaktisch. Ein Philosophieblog, 05.03.2020 (https://www.praefaktisch.de/tier/zwischen-wuerde-und-nutzwert-die-diskussion-um-den-eigenwert-von-tieren/, zuletzt aufgerufen am 17.07.2021).

[6] Vgl. Fenner, Dagmar: Einführung in die angewandte Ethik. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG 2010, S. 120, die unser Naturverhältnis insgesamt in diesen Kategorien fasst.

[7] Sezgin, Hilal: Dürfen wir Tiere für unsere Zwecke nutzen? In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. 62 (2012), S. 4.

[8] Kompatscher-Gufler, Gabriela: Human-Animal-Studies: Wege zu einer tiersensiblen Forschung. In: Praefaktisch. Ein Philosophieblog, 10.10.2019 (https://www.praefaktisch.de/tier/human-animal-studies-wege-zu-einer-tiersensiblen-forschung/, zuletzt aufgerufen am 17.07.2021).

[9] Lindtner 2020.

[10] Sezgin 2012, S. 5.

[11] Fenner 2010, S. 140.

[12] Im Unterschied zur deontologischen Ethik Kants, die auf Pflicht beruht, rücken im Utilitarismus (lat. „utilitas“: Nutzen) die Folgen einer Handlung für deren moralische Beurteilung in den Blick. Ziel ist das Erreichen des größten Nutzens für alle von der Handlung Betroffenen. Heutige Utilitaristen wie Peter Singer sprechen hingegen von „Präferenzen“, d.h. die Erfüllung von Interessen.

[13] Bentham, Jeremy: Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung, Kap. 17, §1, zitiert nach Fenner 2010, S. 142.

[14] §1 des Tierschutzgesetz der BRD, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/__1.html. Seit dem Jahr 2002 ist der Tierschutz als Staatsziel auch in Art. 20a des Grundgesetzes verankert: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_20a.html.

[15] Fenner 2010, S. 160.

[16] Vgl. die Diskussion um den Ausbau der A49 durch den Dannenröder Forst („Danni“) in Nordhessen, die in der Bevölkerung interessante Diskurse zwischen Naturschützern und Anwohnern angeregt hat.

[17] Fenner 2010, S. 167.

[18] Vgl. ebenda, S. 168.

[19] Kompatscher-Gufler 2019.