Prozesse der Globalisierung werfen komplexe Verantwortungsfragen auf. Die Mystery-Methode aus dem »Thinking-Through-Geography«-Ansatz ist ein geeignetes Förderinstrument zu Bearbeitung solcher Fragestellungen.
Seit den AGENDA 21-Beschlüssen werden auch in Deutschland Debatten um Möglichkeiten und Grenzen Globalen Lernens geführt. Mit den damit zusammenhängenden Fragen haben sich vor allem die Fächer aus der Gruppe der politischen Bildung, die Geographiedidaktik und die Religionspädagogik auseinandergesetzt. Allen geht es im Kern zunächst um das Ziel, Lernende zu befähigen, Globalität wahrzunehmen, also zu bemerken und anzunehmen, dass sie in ihrem Alltag mit Menschen andernorts verknüpft sind und dass sich daraus Verantwortungsfragen ergeben. Weiterhin sich selbst mit ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten in diesem Netz weitgespannter Wechselwirkungen verorten und sich Gedanken darüber machen, an welchen Wertvorstellungen sie individuelle Lebensgestaltung und die gesellschaftliche Beteiligung orientieren (vgl. Schreiber 2005).
»Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung ist einerseits durch das ethische Rechts-verständnis der europäischen Aufklärung und unveräußerliche universale Menschenrechte geprägt, andererseits aber auch unterschiedlichen kulturellen Interpretationen zugänglich. Kultur wird hier als Hintergrundfolie oder vielgestaltiges Substrat gruppenspezifischer, gesellschaftlicher und religiöser Wertvorstellungen und Handlungsweisen verstanden.«
(Schreiber 2005, S. 20)
Gemäß den Nationalen Bildungsstandards Geographie (DGfG, 2019) sollen mit Schüler*innen z. B. Eingriffe des Menschen in die Natur nach ihrer ökologischen, sozialen, politischen und ökonomischen Verträglichkeit bewertet werden, um die Lernenden zu mehrperspektivischem und wertorientiertem Beurteilen von Handlungen im globalen Kontext zu befähigen. Hierzu wurden in der Geographiedidaktik eine Reihe von Fördermethoden zur Auseinandersetzung mit fachlicher und ethischer Komplexität entwickelt, die auch in der Biologiedidaktik rezipiert werden. Die Mystery-Methode aus dem »Thinking-Through-Geography-Ansatz« (Leat, 1998) wird im Folgenden kurz dargestellt.
Konzept der Mystery-Methode
Zum Mystery wird über eine Geschichte hingeführt, die in einer Leitfrage endet. Die Schüler*innen bringen Kärtchen mit ungeordneten Informationen zu einem Fallbeispiel zusammen; zusätzliche Materialien können dazu gegeben werden wie vertiefende Hintergrundtexte, Bilder zu Veranschaulichung Grafiken, die nicht auf den Kärtchen gegeben sind. So soll die Verarbeitung der Informationen des ihnen neuen Problemfeldes, die in der Regel ja dem Alltagswissen fern sind, unterstützt werden. Im Anschluss an den Syndrom-Ansatz aus der Geographie werden dann systemische Zusammenhänge untersucht und dargestellt. Hierbei können den Schülern drei Signaturen, die drei Arten von Wechselwirkungen ausdrücken (verstärkender, abschwächender, unbestimmter/unklarer Zusammenhang), an die Hand gegeben werden.
Einsatz der Mystery-Methodezur unterrichtlichen Behandlung ethischer Aspekte innerhalb geographischer Fragestellungen
Problemfelder Globalen Lernens enthalten in der Regel auch ethisch relevante Fragestellungen. Die Ausgangsgeschichte der Mystery-Methode enthält, behandelt man im Unterricht ein solches Problemfeld, starke moralisch normative Appelle und trägt einen Dilemma-Charakter. Sie ist also potentiell nicht lösbar, da bei einem großen Teil der unterstellten Zusammenhänge nicht von Kausalzusammenhängen, sondern allenfalls von Korrelationen gesprochen werden kann. So führt ein bestimmtes Handeln (z. B. Kauf eines Fairphones) nicht klar zu einem anderen Handeln (z. B. auch andere Verbraucher kaufen ein Fairphone) zurückzuführen auf ein anderes, worauf es nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung bestimmter sozialer oder ökonomischer Bedingungen kommt (z. B. Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Minen, die Erze mit Selten-Erde-Metallen fördern). Es sollen Spannungsfelder eröffnet werden, die zum Lernen anregen und zum Erweitern der bekannten Perspektiven. Die je eigene »Realität« entsteht auch hier in den Köpfen der Lernenden und in der Interaktion miteinander: Bedeutungen werden zugewiesen, geteilt, zurückgewiesen, Kompromisse geschlossen, Lösungen angedacht usw.

Schüler*innenstimmen zur Arbeit mit der Mystery-Methode
»Ja was ich jetzt auch noch gut fand: wenn wir in den kleineren Gruppen warn, dann konnte man auch selber mehr sagen. Wenn die ganze Klasse mit dem Lehrer arbeitet, dann meldet man sich vielleicht ein zwei Mal und dann war‘s des und so kann man seine Meinung stärker entwickeln und vertreten.«
»Ich finde dadurch wurde man einfach mehr in das Thema reingezogen und hat es auch besser verstanden.«
»Ja und es gab keine eindeutige Lösung für die Probleme, sondern es alles, worüber man sich Gedanken gemacht hatte, war erstmal in Ordnung. So wie man das gemacht hat. Aber es gab verschiedene Möglichkeiten mit diesen Plakaten darzustellen, wie man das alles verknüpft sieht. Denn es gab ja zwei auch verschiedene Gruppen zu dem Thema und die haben es dann verschieden gelöst.«
Die Mystery-Kärtchen sind ebenfalls so angelegt, dass Spannungsfelder erzeugt werden. So zeichnen die Informationen, die im Mystery gegeben werden, zwar ein deutlich komplexeres Abbild der behandelten Sachzusammenhänge, als es in den gängigen Schulbüchern zu finden ist. Gleichwohl liegen ihnen im Vorfeld getroffene Entscheidungen zur Komplexitätsreduzierung zu Grunde. Und die Lernenden reduzieren im Rahmen ihrer Suche nach Antworten zu den thematisierten Fragestellungen wiederum die Komplexität, um zu relativer Beurteilungs-/ Bewertungssicherheit und/oder Handlungsfähigkeit zu gelangen. So eröffnen sie neue Felder komplexer Zusammenhänge.
Die folgenden Aspekte sind zentral für die Mystery-Methode als Unterrichtsmethode:
- komplexe Systeme weltlicher Erscheinungen lassen sich betrachten, analysieren und diskutieren,
- in der Art und Weise des Sprechens miteinander und der Art und Weise der Berücksichtigung von Informationen werden den Systemzusammenhängen, Teilaspekten des Systems und dem Gesamtsystem, Bedeutungen zugewiesen,
- die Erkenntnis, dass ein Gesamtsystem trotz verschiedener Betrachtungsperspektiven je verschieden stimmig sein kann, wird ermöglicht,
- der Erwerb eigener Meinungen verschafft Standpunkte und Urteilssicherheit gegenüber komplexen Systemen weltlicher Erscheinungen,
- soziale Formen des Lernens unterstützen Lernprozesse, wenn sie Eigenbeteiligung und Freude am Austausch begünstigen,
- Inhalt und Methodik stehen in einem inneren Sinnzusammenhang zueinander.
Fortführung der Ergebnisse aus der Arbeit mit der Mystery-Methode
Auf Grund der Anlage von Ausgangsgeschichte und Mystery werden für die Schüler*innen in je verschiedenem Umfang je verschiedene Fragen offenbleiben – inklusive eines je verschiedenen Interesses, diesbezügliche Wissenslücken zu schließen. Über eine entsprechende Hausaufgabe kann man im Anschluss an die Durchführung der Mystery-Methode Schülern zielgerichtet Sachinformationen zugänglich machen, deren Erhalt sonst längerer Recherchen bedürfte. Durch die Auswahl der Materialien kann man also auch entstandene Unsicherheiten vorentlasten und die Schüler*innen so gestützt in eine Weiterarbeit schicken.
Möchte man die im Rahmen der Hausaufgabe erarbeiteten neuen Wissensstände direkt weiterleiten in eine diskursive Auseinandersetzung, als die Inhalte nicht im Lehrer*in-Schüler*in-Gespräch geleitet thematisieren, bietet sich hierfür die Dilemmadiskussionsmethode an.
Literaturhinweise
Applis, S. (2014). Global Learning in a Geography Course Using the Mystery Method as an Approach to Complex Issues. Review of International Geography Education online (RIGEO) 4(1), 58-70. Abrufbar unter: http://www.rigeo.org/vol4no1/Number1spring/RIGEO-V4-N1-4.pdf
DGfG – Deutsche Gesellschaft für Geographie (Hrsg., 2019): Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss – mit Aufgabenbeispielen. Berlin. https://geographie.de/wp-content/uploads/2014/09/geographie_bildungsstandards.pdf
Pike, G. & Selby, D. (1998). Global teacher – Global learner. London.
Leat, D. (1998). Thinking Through Geography. Chris Kingston Publishing. Cambridge.
Schreiber, J.-R. & Schuler, S. (2005): Wege Globalen Lernens unter dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung. Praxis Geographie 35 (4), S. 4-10.
Vankan, L. (2003). Towards a New Way of Learning and Teaching in Geographical Education. International Research in Geographical and Environmental Education 12(1), 59-63. Van der Schee, J., Leat, D. & Vankan, L. (2006). Effects of the Use of Thinking Through Geography Strategies. Research in Geographical and Environmental Education 15(2), 124-133.