Das Gemälde des Künstler Harmut Kiewert zeigt einen utopischen Raum nach einer Zeit der Massentierhaltung, in der Agrarfarmen industrielle Ruinenlandschaften sind, ebenso wie heute Kohleabbaugebiete. Tiere und Menschen sitzen beim Picknick zusammen und blicken auf den der Vergangenheit zugehörigen Raum. Seit 2008 beschäftigt sich Hartmut Kiewert mit dem Mensch-Tier-Verhältnis und versucht es mit den Mitteln der Malerei neu zu verhandeln, entrückte, utopische Bilder eines anderen, möglichen Mensch-Tier-Verhältnisses aufzuzeigen:
Bilder in denen Schweine, Kühe und Hühner, den Mastanlagen und Schlachthöfen entrückt, Parks, Shoppingmalls und Straßen erobern. Die Tierindustrie ist ruiniert und Menschen und andere Tiere begegnen sich auf Augenhöhe. Eine Sicht auf andere Tiere, die nicht von Beherrschenwollen und Objektivierung geprägt ist, sondern sie als Handelnde, als Subjekte ihres eigenen Lebens, als dem Menschen verwandt zeigt.
Hartmut Kiewert, About
Als eine 18-jährige norwegische Pferdesportlerin 2019 ihr eigenes Pferd gegessen hat, nachdem dieses erkrankt war und geschlachtet wurde und dies auf Facebook mitteilt, hatte das verständnislose Reaktionen bis hin zu Morddrohungen zur Folge. Die meisten Schüler*innen dürften an dem Verhalten der 18-Jährigen Anstoß nehmen, da Menschen Tiere, zu denen sie ein emotionales Verhältnis aufgebaut haben und die ihnen daher als Individuen erscheinen, in der Regel nicht essen.
Aus beiden Beispielen kann ersichtlich werden, was unsere Beziehungen zu Tieren jeweils kennzeichnet: Das Essen des Pferdes im Falle der 18-jährigen Pferdesportlerin verweist auf seinen instrumentellen Wert als Nahrungsquelle (in Deutschland betrifft das v.a. Schweine, Rinder und Kühe). Im privaten Besitz wird Tieren eher ein ästhetischer Wert zugeschrieben (als Quelle von Freude), der Umgang mit ihnen kann aber auch moralpädagogischen Zwecken dienen, wenn beispielsweise Heranwachsende lernen, Verantwortung für ein eigenes Tier zu übernehmen. Dass unsere Beziehungen zu Tieren nicht nur unterschiedlich, sondern in der Regel auch widersprüchlich sind (wie im Fall der 18-Jährigen oder grundsätzlich in Hinblick auf die Frage, welche Tiere gegessen werden oder im Falle des Künstlers Hartmut Kiewers, der eben dieses Verhältnis auflöst), zeigt an, dass hier weiterer Klärungsbedarf besteht.
Johanna Amthors Thematisierung des Anthropozentrismus ist in zwei Teilen veröffentlicht. Teil I enthält grundlegende fachliche Überlegungen zum Umgang von Menschen mit Tieren und stellt Auswirkungen auf verschiedenen Ebene im Mensch-Umwelt-Verhältnis dar. Der hier vorliegende Teil II enthält einen Unterrichtsvorschlag zur Reflexion des Mensch-Tier-Verhältnisses, der sich zur Durchführung in Mittel- und Oberstufe eignet, in vereinfachter Form auch in der Unterstufe durchgeführt werden kann.
Didaktisch-methodisches Arrangement
Im vorgelegten Unterrichtsvorschlag verschaffen sich die Schüler*innen innerhalb von arbeitsteiliger Gruppenarbeit einen Überblick zu verschiedenen Arten im Mensch-Tier-Verhältnis aus anthropozentrischer Perspektive. Das Lehr-Lern-Arrangement födert und fordert soziale Perspektivübernahme sowohl im Sich-Hineinversetzen in die Mensch-Tier-Verhältnisse als auch im Umgang mit sich unterscheidenden Haltungen zu diesen in und zwischen den Gruppenmitgliedern der Arbeitsgruppen.
Arbeitsphase I
Die Schüler*innen können zu Beginn bereits an vier Gruppentischen (a fünf Personen) sitzen. Auf jedem Tisch liegen fünf Fotografien (Hausschwein, Schäferhund, Rhesusaffe, Meerschweinchen, Elefant) und drei Begriffskarten (instrumentell, ästhetisch, moralpädagogisch), die für die erste Erarbeitungsphase umgedreht werden.
Da die Fachbegriffe nicht unmittelbar verständlich sind, werden sie in einer schülergerechten Sprache paraphrasiert („Mittel zum Zweck“, „Quelle von Freude / Vergnügen“, „soziales Lernen am Tier“). Die Tischgruppen analysieren gemeinsam, welcher Begriff die Beziehung des Menschen zum jeweils abgebildeten Tier am besten kennzeichnet, und ordnen die Bilder dem passenden Begriff zu. Im gemeinsamen Gespräch dürfte sich herauskristallisieren, dass manche Tiere mehreren Kategorien zugeordnet werden können (z.B. Schäferhund: instrumentell und moralpädagogisch). Indem die Schüler*innen ihre Zuordnungen begründen und gemeinsam nach Lösungen suchen, wird der Reflexionsprozess weiter angeregt. Anschließend halten sie ihre Ergebnisse in der Tabelle auf dem ersten Arbeitsblatt fest. Hier besteht die Möglichkeit, mittels Ankreuzen auch eine Zuordnung zu mehreren Begriffen zu treffen.
Anthropozentrismus kann hier definiert werden als Verhältnis des Menschen zur Welt, in der der Mensch als Zentrum gesehen wird und alle Verhältnisse von Dingen und anderen Wesen zum Menschen über Selbstdeutungen des Menschen bestimmt werden (z. B. teologisch als Krone der Schöpfung).

Die Ergebnisse werden gemeinsam im Plenum besprochen und diskutiert, das Arbeitsblatt wird dafür für alle projiziert. Im folgenden Unterrichtsgespräch soll das Gemeinsame der drei Kategorien ermittelt werden (es geht immer um den Stellenwert des Tieres aus Sicht des Menschen). Der Begriff „Anthropozentrismus“ kann hier nicht deduktiv erschlossen werden, sondern wird als eine Sichtweise auf das Verhältnis von Menschen und Tieren neu eingeführt und mit einer Erklärung (gr. „anthropos“, der Mensch steht im Mittelpunkt) auf dem Arbeitsblatt gesichert.
Als Fazit kann ganz am Schluss der Unterrichtseinheit folgendes stehen: Der Anthropozentrismus wird Eigenschaften und Fähigkeiten von Tieren meist nicht gerecht, weswegen anthropozentrische Haltungen zu Tieren geprüft und ggf. geändert werden sollten.
Arbeitsphase II
Die Tischgruppen sollen in einem zweiten, vertiefenden Schritt die Fotografien in Hinblick auf die Frage untersuchen, inwiefern der Mensch die abgebildeten Tiere als seinesgleichen (d.h. ähnlich wie Menschen) behandelt und in eine Reihenfolge bringen (von links nach rechts: große Nähe vs. wenig bzw. keine Nähe zum Menschen). Die Schüler*innen begründen im gemeinsamen Gespräch ihre Zuordnung, indem sie sich auf visuelle Informationen aus den Fotografien beziehen (z.B. Meerschweinchen: körperliche Nähe, lebt mit im Haus / Schwein: enge Gitterstäbe, wird nach bestimmter Zeit geschlachtet usw.). Danach werden die Ergebnisse auf dem Arbeitsblatt gesichert, indem die Lernenden die Tiernamen entsprechend der Reihenfolge in der oberen Hälfte der Skala eintragen und deren Position markieren. Eine Schüler*in einer Tischgruppe stellt anschließend ihr bzw. sein Ergebnis im Plenum vor, indem die Reihenfolge mittels Karten (die mit den Tiernamen beschriftet sind) an der (Kreide-)Skala der Tafel visualisiert wird. Von dieser Reihenfolge abweichende Ergebnisse können ebenfalls an der Tafel durch eine Veränderung der Reihenfolge der Karten veranschaulicht werden. Die Offenheit der Skala deutet bereits an, dass hier keine (im mathematischen Sinne) eindeutigen Ergebnisse erwartet werden, sondern Annäherungen an unser Verhältnis zu Tieren vollzogen werden. Zentral ist hier, dass die Schüler*innen begründen, warum sie sich für die entsprechende Reihenfolge entschieden haben.
Arbeitsphase III
Um die Frage zu klären, wie ähnlich sich Tier und Mensch sind, sollen nun die einzelnen Tiere mit ihren Fähigkeiten näher in den Blick genommen werden. Dazu werden fünf „Expertengruppen“ gebildet, die sich jeweils einem Tier widmen.
Die Schüler*innen zählen dafür pro Tischgruppe von eins bis fünf durch und wechseln anschließend an den Tisch mit der entsprechenden Nummer. Bei diese Art der Gruppenbildung (mit abschließenden Kurzpräsentationen der Ergebnisse) handelt sich um eine abgewandelte Form des „Gruppenpuzzles“ („Jigsaw Method“, 1978 von dem amerikanischen Psychologen Elliot Arinson entwickelt), da die Ergebnisse aus der Expertenrunde im Plenum vorgestellt werden, bevor die Lernenden wieder in ihre Ausgangsgruppen wechseln, um anhand der Skala (auf dem ersten Arbeitsblatt) die erkenntnisleitende Frage der Ähnlichkeit zwischen Tier und Mensch abschließend zu diskutieren. Die Lernchancen eines Gruppenpuzzles wie hohe Dynamik und zeitökonomische Bearbeitung verschiedener Teilthemen[2] sollen hier kombiniert werden mit dem (ebenfalls zeitökonomischen) Vorteil einer gemeinsamen Sicherung, in welche die Lehrkraft zudem korrigierend eingreifen kann. Die Schüler*innen werten zunächst in Einzelarbeit die Texte zu ihrer Tierart (Arbeitsblatt 2) aus und nehmen dazu Markierungen zu den Kriterien Intelligenz, Sozialverhalten und Kommunikation vor. Die didaktische Reduktion äußert sich vor allem in der Auswahl der zu bearbeitenden Materialien und stellt eine besondere Herausforderung dar: Einerseits müssen die besonderen Charakteristika der jeweiligen Tierart verständlich werden, andererseits können jedoch nicht alle Details, geschweige denn umstrittene Forschungsfragen der Zoologie (z.B. nach der Intelligenz von Rhesusaffen oder Hunden) berücksichtigt werden. Es ist also nötig, die Materialien so zuzuschneiden, wie es der Fragestellung entspricht. Nach der Auswertung vergleichen die SchülerInnen ihre Ergebnisse innerhalb der Gruppe und einigen sich auf die wichtigsten Stichpunkte, die auf der Rückseite des Arbeitsblattes in Form eines kurzen „Steckbriefes“ zu der jeweiligen Tierart in der entsprechenden Spalte der Tabelle festgehalten werden.
Die Ergebnisse der „Expertengruppen“ werden danach in Kurzvorträgen (von einer Person pro Gruppe) im Plenum präsentiert und gesichert, indem die Mitschüler*innen die Ergebnisse in ihre Tabelle des Arbeitsblattes übertragen.
Arbeitsphase IV
Im Anschluss daran gehen die Schüler*innen zurück in die Ausgangsgruppen. Die Ergebnisse der Expertenrunde sollen nun genutzt werden, um die Frage der Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier zu diskutieren. Dazu werden die Bilder innerhalb der Gruppen wieder in eine Reihenfolge gebracht (von links nach rechts: große Ähnlichkeit vs. wenig bzw. keine Ähnlichkeit zum Menschen). Dieses Vorgehen, das aus der ersten Stundenhälfte bekannt ist, unterstützt den Perspektivenwechsel und soll dazu dienen, Unterschiede zu identifizieren, die man dann reflektieren kann. Die Tiernamen werden dann entsprechend der Reihenfolge in der unteren Hälfte der Skala eingetragen und ihre Position markiert. Die Ergebnisse dürften hier recht unterschiedlich ausfallen, denn die Schüler*innen können die betrachteten Ähnlichkeitskriterien unterschiedlich stark gewichten. Wenn man z.B. den Fokus auf das Sozialverhalten legt, wäre der Hund in der Spitzenposition (ganz links) denkbar, bei der Intelligenz hingegen der Elefant. Dies kann in Folgestunden sinnvoll aufgegriffen werden, wenn andere ethische Grundpositionen wie beispielweise der Pathozentrismus und der Biozentrismus Thema sind. Die verschiedenen Lösungen der SchülerInnen können an der Tafel veranschaulicht und besprochen werden.
Nun sollen die Ergebnisse der Skala miteinander verglichen und Unterschiede thematisiert werden. Auffällig ist z.B., dass der Rhesusaffe als Versuchstier am wenigsten vom Menschen wie seinesgleichen behandelt wird, aber in Hinblick auf sein Erbgut große Ähnlichkeit zum Menschen aufweist. Auch das Meerschweinchen könnte thematisiert werden, dass als Haustier des Menschen zwar privilegiert behandelt wird, in Bezug auf seine Fähigkeiten dem Menschen (verglichen mit den anderen Tieren) aber am unähnlichsten ist. Hier offenbart sich eine gewisse menschliche Willkür, die in den Fokus der Diskussion gebracht werden kann. Die Fähigkeiten von Tieren sind offenbar irrelevant für unseren Umgang mit ihnen. Anders ausgedrückt: Tiere, die große Ähnlichkeit zum Menschen aufweisen, müssten eigentlich auch ähnlich behandelt werden. Dies ist aber nicht der Fall. Der Mensch entscheidet im eigenen Nutzenkalkül über das Schicksal des Tieres: Rhesusaffen beispielsweise werden sowohl in Zoos als auch in Versuchslaboren eingesetzt. In Indien wiederum gelten die Tiere als heilig (was ebenfalls eine anthropozentrische Zuschreibung ist), dort leben sie in Freiheit. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Anthropozentrismus, d.h. dieser stark auf den Menschen verengte Blick, im Umgang mit Tieren zu rechtfertigen ist. Die SchülerInnen sollen diese Frage abschließend diskutieren. Daran anknüpfend wird das Fazit der Stunde formuliert über eine Präsentation oder direkt an der Tafel, die Schüler*innen sichern es auf ihren Arbeitsblättern: Der Anthropozentrismus wird Eigenschaften und Fähigkeiten von Tieren meist nicht gerecht, weswegen anthropozentrische Haltungen zu Tieren geprüft und ggf. geändert werden sollten.
Ausweitung
Als Ausweitung kann ein Gespräch über alternative Konzepte des Mensch-Tier-Verhältnisses angedacht, angeregt durch ein Gemälde des Malers Hartmut Kiewert aus der Reihe „Animal Utopia“: Dieser entwirft, wie oben dargestellt, in seinen Bildern neue Tier-Mensch-Beziehungen, indem er Nutztiere wie Schweine oder Kühe in urbanen Räumen darstellt, was zum Nachdenken anregt und den Ausgangspunkt für die Überlegungen der Schüler*innen bilden kann; im folgenden Video spricht der Künstler anlässlich eienr Ausstellung im Essener Kunstmuseum auch selbst über seine Gemälde.
Der Text „Wir Affen“ von Arno Frank, erschienen 2019 in dem Magazin „Fluter“, vertieft den Aspekt der Gemeinsamkeiten von Menschen und Tieren. Gleichzeitig bildet er eine Brücke zu möglichen Folgestunden, da der Autor die These aufstellt: „Die Frage ist heute nicht mehr, ob, sondern wann Tiere als Mitgeschöpfe mit Rechten ausgestattet werden […].“[3]

Text und Unterrichtskonzept: Johanna Amthor (2021)
Bild: Hartmut Kiewert
[1] Meyer, Hilbert: Was ist guter Unterricht? Berlin: Cornelsen Verlag 2009. S. 39-40.
[2] Vgl. Mattes, Wolfgang: Methoden für den Unterricht. Paderborn: Schöningh 2011, S. 81.
[3] Frank, Arno: Wir Affen. In: Fluter Nr. 72 (Herbst 2019), S. 14.
Vielen Dank für diesen äusserst interessanten und aktuellen Beitrag zum Mensch-Tier-Verhältnis aus anthropozentrischer Perspektive. Wir brauchen unbedingt generell eine Diskussion in den Schulen zu unserem Verhältnis zur Natur resp. über eine Neueinschätzung, was Menschsein im 21. Jahrhundert bedeutet. Dabei eignet sich besonders die Theorie des Posthumanismus. Die posthumanistische Sicht sieht Mensch und Natur jedoch nicht als abgrenzbare Kategorien, wie in der Unterrichtseinheit dargestellt, sondern als Mensch-Natur-Kontinuum. Ein weiteres Problem: Mit dem Tiersteckbrief werden anthropozentrierte Kriterien für eine Bewertung von Tieren angewandt. Das ist schade, denn genau dieses hierarchisch-definitorische Denken sollte überwunden werden. Besonders problematisch ist die Feststellung, dass Ähnliches ähnlich behandelt werden soll, d.h. nur ein als ähnlich bewertetes Tier hat das Recht, gut behandelt zu werden. Diese Ethik ist problematisch in Bezug auf den Umgang mit Differenz generell. Eine Auseinandersetzung mit posthumanistischer Theorie könnte hier weiterhelfen.
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Liebe Frau Kürsteiner, danke für Ihe wichtige Rückmeldung, ich werde das an die Autorin weitergeben – ich weiß, dass sie das auch berücksichtigen wollte in Folgestunden – in diesem Entwurf geht es allerdings nur um den Anthropozentrismus und darum, den Kindern erst einmal diese Perspektive, die uns so selbstverständlich vorkommt und die doch so beliebig ist, reflektiv zugänglich zu machen… Allerbeste Grüße an Sie, Stefan Applis
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